Es gibt so Dinge, die stellt man sich äußerst romantisch vor. Bis man sie das erste Mal tut. Picknicken im Park zum Beispiel (alles voller Ameisen und anderer Menschen) oder gemeinsam shoppen gehen (warum?).
In meinem Fall war es die Fantasie, gemeinsam mit Ronja im Garten zu arbeiten. Beete schaufeln! Erde matschen! Wasser gießen! Tiere schauen! Und die frische Luft! Das muss doch toll sein für ein Kind, habe ich gedacht.
Naja. Ronja findet es sehr mäßig.
Wenn ich ehrlich bin, dann konnte man man Ronjas Abneigung gegen Gartenarbeit schon im letzten Jahr bemerken.
Da habe ich es darauf geschoben, dass sie noch nicht so sicher auf den Beinen ist. Dieses Jahr nun ist das Laufen selbstverständlich. Warum man aber raus muss, ist für Ronja umso unverständlicher geworden. Neu ist, dass sie das jetzt auch ausdrücken kann. Anstatt einem Kind, das einfach nur quengelt und auf dem Boden sitzt, wenn man es in den Garten zwingt, habe ich dieses Frühjahr eine Tochter, die mir deutlich und stets mit anschwellender Lautstärke sagt, was sie will: „Hann.“ „Hannnn.“ „HANNN!“, zieht Ronja an meiner Hand, wenn ich im Beet sitze und mit ihr woanders hin soll. „Tomm.“ „Tom!“ „MAMA!“ „TOMM!“ schreit sie mir vom Hof aus zu, wenn ich zu ihr gehen soll. Seit das Laufen automatisiert ist, wird es von Tag zu Tag mehr und deutlicher: Ronja spricht!
Es ging irgendwann im Herbst los, dass Ronja bestimmte Worte – oder eher Silben – für bestimmte Dinge benutzte. Da war sie ungefähr zweieinhalb. Vielleicht auch etwas jünger.
Zu Weihnachten hat sie dann schon richtig nachgesprochen und viel geübt: „Mmmma“, „Mmmma“, „Ooommma“ und „Pppa“ (Opa).
Mittlerweile lernt sie täglich neue Wörter und plappert nach, was sie so aufschnappt. Vieles ist noch recht verwaschen und nur für mich verständlich. Einiges erkenne selbst ich nur im Kontext und auch manche Konsonanten kann sie noch nicht aussprechen, wie zum Beispiel das „K“: „Mama, tomm!“. Dazu kommt, dass sie natürlich stets genau dann gar nichts mehr sagt, wenn ich die neuen Fähigkeiten anderen präsentieren möchte. Am gesprächigsten ist sie alleine zuhause. Aber hey, Ronja ist mit riesiger Motivation dabei und lässt sich begeistert feiern, wenn wieder ein neues Wort perfekt ist. „Ingo“ war es heute (natürlich hat selbiger seinen Namen nicht von Ronja zu hören bekommen).
Mir fällt auf, dass Ronja echte Worte sehr befreit mit Gebärden mixt.
Das ist das, was wir uns gewünscht haben und worum es auch in der Gebärdenunterstützten Kommunikation (GuK) geht: Kommunikative Erfolgserlebnisse vermitteln, sich ausdrücken können, Frustration für Eltern und Kindern vermeiden. Läuft.
Erstaunlicherweise ist GuK unter Familien mit Down Syndrom und auch unter Therapeutinnen längst nicht so bekannt, wie ich dachte. Es gibt auch Vorbehalte, wie zum Beispiel das Missverständnis, die Gebärden könnten oder sollten Sprache ersetzen. Das Gegenteil ist der Fall, wie Ronjas Beispiel zeigt. Wir können GuK uneigeschränkt empfehlen. Weil es bei uns so gut geklappt hat, möchte ich ein bisschen mehr dazu erzählen.
Den Einstieg in die Gebärdenunterstütze Kommunikation haben wir über ein ganztägiges Seminar bekommen, da war Ronja eineinhalb Jahre alt.
Es wird veranstaltet vom Down Syndrom Infocenter in Lauf, ist aber sehr gefragt und daher schnell voll. Vermittelt wurde etwas grundsätzliche Theorie zum Spracherwerb, die Idee von GuK und dann natürlich eine ganze Menge Gebärden, die man so en passant nebenher lernt. Wir haben das Seminar mit einem soliden Grundwortschatz an Gebärden verlassen. Wer kein Seminar machen kann oder möchte, kann sich die Inhalte genausogut zuhause anlesen. Zum Beispiel hier könnt ihr das Arbeitsmaterial bestellen (ich bekomme kein Geld für Empfehlungen).
Wichtig an der GuK sind für mich zwei Dinge: Erstens die Begrenztheit des Wortschatzes, zweitens die spielerische Art, wie die Gebärden in den Alltag integriert werden können.
Zur Begrenztheit: Tatsächlich haben wir uns damals beide Kartensets aus Grund- und Aufbauwortschatz gekauft (das sind zusammen 200 „Vokabeln“), sind aber über den Grundwortschatz nicht hinausgekommen. Mittlerweile überspringt Ronja bei einigen Wörtern die Gebärde und spricht direkt. Manchmal haben wir auch unsere eigene Gebärde entwickelt. GuK soll keine Sprache ersetzen, besitzt entsprechend auch keine Grammatik und orientiert sich nur an dem, was für kleine Kinder an Wörtern eben relevant ist. Da sind 200 Gebärden dann ganz schön viel. Es geht nicht um Vollständigkeit. Es geht darum, begeistert darauf aufmerksam machen zu können, wenn man etwas tolles gesehen hat, oder Bedürfnisse auszudrücken. Das waren auch Ronjas erste Gebärden: „Hund“ und „essen“.
Das spielerische Einbauen in den Allltag ergibt sich fast von alleine, sobald man selbst die ersten Gebärden beherrscht. Wir haben Ronja anfangs vielleicht fünf bis zehn Vokabeln angeboten, indem wir unsere Worte immer mit der entsprechenden Gebärde untermalt haben und dann eben geschaut, was sie davon imitiert. Viele Gebärde sind so intuitiv, dass Außestehende oft gar nicht bemerkt haben, dass da ein System dahintersteckt, wenn wir bestimmte Worte „zeigen“. Es wirkt also ganz und gar nicht komisch. Erwachsene bemerken es oft gar nicht, andere Kinder finden Gebärde toll.
Die Anwendung in Ronjas sonstigem Umfeld lief so mittelgut.
Es wird empfohlen, kleine Bücher anzulegen mit den „Wörtern“, die das Kind schon kann, damit auch Erzieher, Therapeutinnen, sonstige Familie und Freunde GuK „sprechen“ können. Wir haben das auch getan, aber wirklich etabliert hat es sich irgendwie nicht. Faktisch sind Matthias und ich eigentlich die einzigen, die mit Ronja gebärden. Das ist aber auch ok. Sie spricht ja trotzdem und kann auch ganz gut auseinanderhalten, in welchem Umfeld was gilt.
Ganz wichtig für GuK wie auch für gesprochenen Sprache ist es, niemals zu korrigieren oder für das Kind spürbar zu üben.
Wenn man das tut, macht man schnell alles kaputt, denn dann schwindet die Freude. Stattdessen gilt: Finde heraus, was dein Kind interessiert und beschäftigt. Schaffe eine entspannte Situation. Sei einfach da und biete ihm dann das Wort und die Gebärde an, die es gerade braucht. Ronja wiederholt neue Wörter oft erst dann, wenn ich es nicht mehr von ihr erwarte und sie nicht mehr ansehe. Plant auch das ein. Wenn das Wort oder die Gebärde dann kommen, sind sie anfangs natürlich sehr verwaschen. Auch Gebärden muss man erst lernen. Lasst das zu. Wiederholt den Satz einfach selbst nochmal in korrekt, aber gibt dem Kind nicht das Gefühl, es habe einen Fehler gemacht. Sprechen soll Spaß machen!
Ergänzend zu GuK haben wir mit Ronja von Anfang an sehr viel gesungen. Sie liebt das. Auch da lassen sich einige Gebärden einbauen, es dürfen aber auch GuK-unabhängige Fingerspiele und Verse sein. Hauptsache, es macht Spaß.
Nun ruft mein Kind: „Hejo“. Das steht für ein Lied, das ich singen soll. Ich muss weg.
Habt ihr eigene Tipps zur Sprachentwicklung oder ganz andere Erfahrungen mit der GuK gemacht als ich? Dann teilt diese gerne mit mir und schreibt einen Kommentar.