Liebe Frau Doktor,

diese Info haben Sie mir kürzlich nebenher bei einer Untersuchung gegeben.
Es gibt Worte, die treffen wie tödliche Pfeile und es gibt solche, die langsam wirken, wie Spuren von Gift. Ihre Worte bewirken letzteres.

Warum haben Sie mir das gesagt, Frau Doktor? Haben Sie darüber nachgedacht, was Ihre Worte in mir bewirken?

Was ist Ihre Absicht hinter derartigen Äußerungen? Bitte erklären Sie es mir, denn ich verstehe sie nicht. Wenn es etwas gäbe, was wir tun könnten, wenn wir unser Verhalten in irgendeiner Art und Weise ändern könnten um besagtes Risiko zu reduzieren, dann wäre es natürlich wichtig, dies mit uns zu besprechen. Sie haben uns aber keinen Rat gegeben, keine Verhaltensregeln, nichts. Da ist lediglich die Information, dass Kinder mit Down Syndrom häufiger im Mutterleib einfach sterben können.

Es hat gut einen Tag gedauert, um nach den letzten Untersuchungen wieder Mut zu schöpfen und zu einem normalen Alltag zurück zu finden. Ein ganzer Tag und eine Nacht, obwohl nichts objektiv Besorgniserregendes festgestellt wurde. Ihre beiläufige Bemerkung, Frau Doktor, hat für mich dabei zunächst gar keine große Rolle gespielt (dachte ich). Ebenso nebenbei, wie Sie sie geäußert haben, habe ich sie weggesteckt.

Das Gift Ihrer Worte beginnt erst jetzt langsam zu wirken.

Es bewirkt, dass ich mir Sorgen um mein Kind mache, sobald ich es ein paar Stunden lang nicht spüren kann. Es bewirkt, dass ich immer wieder die Vorstellung beiseite schieben muss, mein Baby könne tot in meinem Bauch liegen und ich merke es nicht. Ihre Worte, Frau Doktor, legen sich wie ein düsterer Schatten über unseren Alltag und über mein Verhältnis zu meinem Baby.

Wissen Sie, Frau Doktor, ich habe mich sehr gefreut auf mein Kind, bevor ich bei Ihnen war.

Wissen Sie, ich war sehr glücklich mit meiner wundervollen, gesunden Schwangerschaft. Sie haben all dies zunichte gemacht mit ein paar Worten achtlos verspritztem Gift.
Klar, ich freue mich noch immer auf mein Kind, aber das Bild, wie ich mein süßes kleines Mädchen endlich in den Arm nehmen kann, hat durch Ihre Worte Konkurrenz bekommen. Konkurrenz von Bildern wie es wäre, wenn Ronja stirbt. Bilder, wie ich mein Kind tot zur Welt bringe. Bilder von diffuser Angst vor namenlosen Problemen, Missbildungen, Krankheiten. Bilder, die ich nur mit großer Anstrengung beiseite schieben kann und die sich immer wieder in einen Kopf stehlen, sobald ich einen Moment lang nicht aufpasse.

Wissen Sie, Frau Doktor, ich gehe „rational“ eigentlich noch nicht einmal davon aus, dass Ronja tatsächlich etwas deratiges passieren könnte: Sie sind die erste, die ich davon reden höre und ich habe einiges gehört und gelesen bisher.

Warum also fanden Sie es wichtig, uns über dieses „erhöhte Risiko“ zu informieren? Ging es Ihnen gerade so durch den Kopf? Haben Sie im Studium darüber gelesen oder vielleicht kürzlich eine Fortbildung besucht? Wollten Sie Ihr Wissen einfach mal anwenden? Bitte vergessen Sie nicht, dass Sie es bei mir und meinem Baby mit fühlenden Menschen zu tun haben. Interessante medizinische Details und detaillierte Statistiken möchte ich nicht hören, denn für mich ist gerade nicht die Zeit für intellektuelle Neugier. Es geht mir um mein Kind und darum, wie ich das Beste für mein Baby tun kann. Über Dinge, die ich nicht ändern und nicht beeinflussen kann, bitte ich Sie in Zukunft einfach zu schweigen.

Wissen Sie, Frau Doktor, nicht die Tatsache, dass mein Mädchen das Down Syndrom hat führt dazu, dass meine Schwangerschaft belastet ist. Es sind Ihre Worte, Ihr Verhalten, Ihr nebenher verspritztes Gift, die dies bewirken.

Ein Kind mit Down Syndrom zu bekommen, ist eine sehr schwere Last, so erscheint es mir gerade. Aber nicht wegen des Kindes, absolut nicht. Einstimmig alle Eltern berichten von ihrem großen Glück mit diesen Kindern. Klar, auch von Herausforderungen; in der Summe aber von Glück. Die schwere Last liegt darin, dass ich vor mir sehe, wie ich mich in Zukunft immer und immer wieder mit Menschen auseinandersetzen muss, die in meinem Kind in erster Linie ein Risiko, einen Fehler, ein Problemfeld sehen. Menschen, die mit Bemerkungen wie der Ihren so viel zerstören – obwohl es so wenig kostet, ein kleines bisschen Zuversicht zu geben.

Liebe Frau Doktor, ich frage mich, warum man Mütter gesunder Kinder nicht regelmäßig darüber aufklärt, dass Ihre Kinder im Mutterleib sterben könnten, dass sie durch die Geburt schwere Behinderungen davon tragen könnten, dass sie nach der Geburt manchmal einfach aufhören zu atmen? Der Grund ist: Es geht um Fakten, die nur Angst machen, ohne dass man wirklich etwas daran ändern kann. Warum aber muss ich mir genau diese Art von „Aufklärung“ anhören? Als Strafe dafür, dass wir unser Kind nicht (geplant) töten lassen, müssen wir da mit der Angst leben, dass es (ungeplant) sterben könnte? Hätten wir Ronja besser töten sollen, um uns nicht der Angst auszusetzen, dass sie sterben könnte? Merken Sie, Frau Doktor, wie schizophren diese Logik ist?

Liebe Frau Doktor, Sie würden mir entgegnen, ich sei irrational. Viele, die dies lesen, würden Ihnen zustimmen. Auch ich stimme dem zu.

Ja, tatsächlich: Ich bin komplett irrational. Gesteuert von wirren Gefühlen und Hormonen und ich schreibe Ihnen dies aus dem Moment heraus. Das liegt daran, dass ich Mutter werde. Ich bin schwanger mit meinem ersten Kind. Ich bin voll von Ungewissheit, Angst, Freude, Erwartung, Sorge. Ich habe noch nie ein Kind geboren und weiß nicht, wie das ist. Zusätzlich zu all dem ist mein Kind krank und es wird anders sein als andere Kinder, denn es hat das Down Syndrom. Und ich liebe mein Kind aus tiefstem Herzen. All dies macht mich irrational auf ganzer Linie.

Frauen wie ich sind genau Ihre Klientel, Frau Doktor.

Sie können meine Gefühle nicht abtun mit dem Argument, sie seien irrational, denn Irrationalität gehört zur Schwangerschaft unvermeidbar dazu. Wenn Sie auf Irrationalität keine Rücksicht nehmen können, dann sind schwangere Frauen vielleicht nicht unbedingt die richtigen Patienten. Ich weiß, Sie haben es vermutlich alles nur gut gemeint und sie sind rein medizinisch mit Sicherheit hoch kompetent, das steht hier gar nicht zur Debatte. Aber Sie haben leider gar nichts Gutes bewirkt in diesem Fall, das wollte ich Ihnen nur sagen.

„Worte, die treffen wir tödliche Pfeile oder langsam wirken wie Spuren von Gift.“

Bitte denken Sie doch künftig daran: Auch Ihre Worte wirken.

3 Gedanken zu “„Es kommt bei Kindern mit Down Syndrom auch häufiger vor, dass diese im Mutterleib einfach sterben.“

  1. Hallo,

    solche Aussagen habe ich über Marlene (DS und AVSD, der nicht so gut operabel war und ihr eine künstliche Herzklappe einbrachte) auch gehört. Auch von Leuten, die das gar nichts anging. Eine Physiotherapeutin (von mir!) meinte mal: „Da können Sie ja froh sein, wenn die mal 2 wird“. Im Sommer wird Marlene nun 9, geht in eine ganz normale Schule, ist eine Sportskanone, kann Radfahren, Inline skaten und ist allseits beliebt.

    ich glaube, Ärzte können mit Abweichungen von der Norm einfach schlecht umgehen und erzählen dann manchmal haarsträubende Dinge.
    Ich wünsche Euch einen guten Start ins Leben zu dritt,

    viele Grüße aus Berlin,

    Alexandra

    1. Liebe Alexandra,

      danke für den Kommentar. Ich wollte eigentlich schreiben: „Du ahnst ja nicht, wie gut es tut, so etwas zu hören“, da fiel mir auf: Doch, gerade du wirst das ganz genau wissen…

      Danke dir und alles Liebe für Marlene!

      Gundula

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