Gestern war Osterwetter. Die Sonne hat geschienen, Ronja hat im Garten Ostereier gesucht, wir haben gebruncht und waren spazieren. Zur Feier des Tages gab es am Nachmittag Pommes im Garten. Wir haben natürlich auch schöne Fotos gemacht, liebe Ostergrüße versendet und geteilt. Sehr schön gelungen alles, sagen diese Bilder. Glückliches Kind, entspannte, souveräne Eltern, nette Familie, heile Welt.
Das ist der eine Teil der Wahrheit. Er ist wahr, denn ich beschönige nicht mit Absicht. Es waren schöne Ostern gestern.

Es gibt aber auch den anderen Teil der Wahrheit. Der, in dem die Nerven blank liegen. Indem wir es gerade eben noch hinbekommen, uns gegenüber Ronja zusammenzureißen (und auch das nicht immer) und für sie ein schönes Fest zu gestalten. Der Teil der Wahrheit, in dem ich Ostern am liebsten komplett hätte ausfallen lassen um mir das zu gönnen, was ich seit über einem Jahr so gut wie nicht hatte: Einen Tag alleine. Einen Tag, an dem niemand etwas von mir will. Einen Tag, an dem ich nichts, einfach gar nichts tun muss.

Dies ist für all die, denen es ähnlich geht. Die lange schon nicht mehr können, aber immer müssen und es dann eben irgendwie tun.

Die seit über einem Jahr versuchen, ihren Kindern gerecht zu werden in einer Welt, die kinderfeindlich ist wie selten zuvor. Die dabei fast selbst zugrunde gehen und dennoch eines niemals loswerden: Das schlechte Gewissen den Kindern gegenüber. Dass man zu wenig getan hat. Dass sie wieder vor der Glotze saßen. Dass das Essen wieder nicht gemeinsam war. Dass man wieder genervt war. Geschimpft hat ohne Grund. Keine Zeit hatte. Keine Kraft für gute Spielideen. All jene, über die zu Beginn der Pandemie sehr viel geschrieben wurde, mittlerweile aber kaum noch etwas; jene, die sich selbst nicht mehr vertereten können, weil sie zu müde und beschäftigt sind: all jenen sende ich wundervolle, ungeschminkte Ostergrüße.

Lange Zeit kam die Pandemie gar nicht so richtig an bei uns. Matthias war noch in Elternzeit, Ronja durfte aufgrund ihrer Behinderung fast durchgehend in die Notbetreuung, ich konnte recht entspannt zuhause arbeiten. Seit Weihnachten ist alles anders. Der Lockdown kam sehr nah. Wir haben einen düsteren Winter uns, mit Krankheit, trüber Stimmung und wenig Licht. Dann ist es endlich heller geworden. Die Sonne kam, Ronjas Krippe hat dicht gemacht und unser Kind und alle anderen in Quarantäne geschickt: Es gab einen Fall von Corona. Matthias ist beruflich wieder eingestiegen, ich erlebe die ersten Tage in einem neuen Job und Ronja ist zuhause. Sie darf nicht zum Spielplatz, langweilt sich und steht an der Haustür: „Kinda“, sagt sie sehnsüchtig und will beschäftigt werden.

Ich hatte zwei Wochen zwischen altem und neuen Job, die wollte ich eigentlich nutzen.

Vormittags, wenn Ronja in der Krippe ist, kann ich wunderbar am Schreibtisch arbeiten. Ablage, Steuer, Blog und Buchprojekt, dies und das, was gerne liegen bleibt. Soweit der Plan. Dann schrieb uns die Krippe und von da an war ich fast nonstop mit Ronja beschäftigt. Permanent auf Sendung, ohne Pause. Ronja ist momentan auf mich fixiert wie nie. Papa darf keine Schuhe anziehen, keine Windeln machen, nichts vorlesen und spielen kann er scheinbar auch nicht mehr. Alles ist nur „Mama“, „Mama, komm“, „Mama hann“, „Mama desse“ (essen). Von halb sieben Uhr morgens bis Ronja abends schläft. Dazu entwickelt Ronja Persönlichkeit, trotzt, provoziert, testet Grenzen und quengelt bei allem, was nicht ohne Verzögerung nach ihrem Willen läuft.

Psychologisch, theoretisch ist alles völlig klar: Die Anhänglichkeit ist eine Phase. Ich sollte Ronja geben, was sie braucht. Die Trotzphase willkommen heißen, zeigt sie doch Ronjas fast „normale“ geistige Entwicklung an. Fakt ist aber: Es gelingt mir nicht.

Zumindest nicht immer. Ich spüre ihn selbst, den genervten Tonfall in meiner Stimme, der durch den Versuch, mich zu kontrollieren, nur noch deutlicher hörbar wird, wenn Ronja nach mir ruft. Ich registriere, wie mir innerlich heiß wird, wenn Ronja ihren Quark oder ihr Müsli löffelt, angesichts all des Drecks und des Geschmiers, das dabei nach wie vor entsteht. Sie übt fleißig Löffeln, soll und muss es selber machen, schmiert sich dabei aber Quark in die Haare, bekleckst die komplette Kleidung, den Tisch und auch den Boden. Und ich kann denn Dreck einfach nicht mehr ertragen! Mag nicht mehr putzen. Will nicht mehr tagein, tagaus das Gleiche machen. Hasse es, die Spülmaschine auszuräumen, jeden Tag aufs neue. Mag nicht mehr saugen, kochen, Kind anziehen und mehrmals täglich waschen.

Und ich schimpfe mit Matthias, weil es mir nicht möglich ist, eine Handlung von zwei bis drei Minuten am Stück zu erledigen, ohne dass Ronja dazwischenkommt und etwas will. Und ich erkenne, wie paradox und reduziert die eigenen Wünsche mittlerweile geworden sind:

„Ich wünsche mir eine Stunde Zeit, um in Ruhe meine Küche putzen zu können, das würde mich wirklich sehr entspannen.“

Wäre er nicht einer Pandemie entsprungen, könnte der Satz prima aus den 50-er Jahren kommen.

Womit wir beim Verhältnis der Geschlechter und bei Rollenklischees wären. Und bei der Erkenntnis, wie stark ohnehin bestehende Ungleichheiten aktuell verstärkt werden. Wie viele Frauen gerade tagaus, tagein, am Herd stehen und es hassen.
Es ist unnatürlich, Familien so lange zu isolieren und miteinander einzusperren. Natürlich ist es, darauf zu reagieren. Zum Beispiel mit einer tiefen, allumfassenden Gereiztheit und Erschöpfung. Egal, wir sehr wir unsere Kinder lieben. Egal, wie am allerwenigsten sie dafür können. Aber genug davon. Als die Erschöpfung der Familien noch nicht ganz so tief, ihre Resignation noch nicht ganz so groß war, da wurde ja schon viel zu dem Thema gesagt.

Ich bleibe lieber bei uns. Da ist es durchaus nicht so, dass ich alles alleine machen müsste.

Ich habe ja nebenher noch einen Vollzeitjob, den ich sehr gerne mache. Matthias hilft sehr viel. Er ist ein toller Vater und auch ein guter Hausmann. Und dennoch emfinde ich die Zuständigkeit bei mir. Es ist mein schlechtes Gewissen, wenn der Tag nicht so gelaufen ist, wie ich es gern für Ronja gehabt hätte. Es ist mein Stress und meine Wut, wenn ich unbedingt die Küche aufgeräumt haben muss, bevor ich an den Schreibtisch kann. Es ist meine Vorstellung, wir Ostern für mein Kind zu laufen hat, die dazu führt, dass ich morgen um sieben lieblos und nebenher Eier färbe. Es ist mein Kopf, der permanent und bei jeder Tätigkeit endlose To-Do-Listen erstellt, was in der nächsten Zeit zu erledigen und zu bedenken wäre und dann nebenher versucht, auf ein gelangeweiltes Kind einzugehen, das seine Spielgefährtinnen vermisst. Matthias kann nichts dafür. Es ist meine eigene Hölle – vielleicht auch die Hölle der Mütter – der ich aber nicht entkommen kann.

Es ist eine Art von Prägung der Mütter, die sich nicht wirklich gezeigt hat, solange es nicht hart auf hart kam. Solange das soziale Auffangbecken funktioniert hat, es Kinderbetreuung gab, Schwimmbäder, Tierparks und Restaurants.

Da ist es nicht so spürbar geworden, dass die Mütter eigentlich immer noch für alles zuständig sind – oder sich zumindest so fühlen! Da haben sie Dinge an ausgewählte Dritte abgegeben, um Zeit für sich zu haben. Nun, da das nicht mehr geht, wird deutlich, wie wenig emanzipiert wir selbst in unserem Mindset offesnichtlich waren. Und es gibt es genau zwei Möglichkeiten: Zusammenbrechen, oder üben, loszulassen. Laufen zu lassen und das schlechte Gewissen zu ertragen und zu chillen. Die Männer können das, denn sie sind dazu erzogen. Die Mütter müssen es lernen. Spätestens jetzt.

Aktuell schwanke ich zwischen den Möglichkeiten. Immerhin kann ich arbeiten und verdiene nennenswertes Geld damit. In all der Belastung ist der Job oft eher Ausgleich als Stress, gibt er mir doch die Legitimation, mehrere Stunden am Stück ungestört sein zu dürfen. Das ist so wichtig. Viele Mütter haben diesen Anker nicht. Auch für sie ist dieser Beitrag.

Allerbeste, ungeschminkte Ostergrüße an euch alle!

2 Gedanken zu “Lockdown,Quarantäne, Dreck und blanke Nerven – Ostergrüße ungeschminkt

  1. Was für ein wunderbarer ehrlicher und zugleich trauriger Beitrag. Wir haben zwei Kinder. Die 6 1/2 jährige beschäftigt sich ganz wundervoll und sitzt doch viel zu oft und zu lang vor dem iPad. Die Kleine ist mit ihren 16 Monaten (und DS) dazu noch nicht in der Lage. Und obwohl auch mein Mann macht und mir wirklich viel abnimmt geht es mir doch ähnlich und ich bin froh wenigstens ab und an ins Büro zu dürfen 🙂

    Solidarische Grüße und nun wird das Wetter ja bald (bitte bitte) wieder besser und draußentauglich 🙂

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