Ab kommender Woche lernt Ronja ihre Tagesmutter kennen. Sie soll dort künftig ein paar Stunden in der Woche hingehen. Da wir keine Großeltern oder sonstige Familie in der Nähe haben, ist das eine gute Lösung. Wir bekommen ein paar babyfreie Stunden in der Woche und Ronja bekommt ein anregendes, aber überschaubares erweitertes soziales Umfeld mit großen und kleinen Geschwistern.
Eine Krippe wäre vielleicht noch zu überfordernd für Ronja, denke ich. Zu viele andere Kinder, zu viele verschiedene Bezugspersonen, zu viel Lärm und zu wenig Zeit für sie, um sich zu orientieren. Dann also lieber eine Tagesmutter.
Was ich mir so einfach vorstelle, hat sich mittlerweile als veritable Herausforderung für die Behörden herausgestellt, die mit Ronjas Angelegenheit beschäftigt sind.
Ohne es bewusst darauf anzulegen, haben wir in unserer Stadt (wenn ich das richtig verstehe) anscheinend den ersten Fall geschaffen, in dem ein behindertes Kind „einfach so“ in eine Kinderbetreuung geht. Bis vor wenigen Jahren, vor der Behindertenrechtskonvention, war das noch nicht möglich. Da war die Welt geordnet. Normale Kinder gingen in normale Kindergärten und Krippen, behinderte Kinder in heilpädagogische Einrichtungen oder integrative Krippen, die entsprechende heilpädagogische Plätze hatten. Heilpädagogische Plätze bedeuten, dass im Rahmen der Tagesbetreuung sogenannte heilpädagogische, bzw. therapeutische Maßnahmen stattfinden oder besondere (intensivere) Betreuung gewährleistet wird. In sehr vielen Fällen ist das sehr sinnvoll.
Indem ich mich für eine Tagesmutter entschieden habe, bin ich nun aber davon ausgegangen, dass Ronja doch auch einfach so zu einer Tagesbetreuung hingehen kann, ohne dass sie dort zwangsläufig geheilpädagogikt werden muss.
Sie kann doch auch mit Behinderung einfach so teilhaben, ohne dabei therapiert zu werden, haben wir uns gedacht. Darüber, ob das tatsächlich einfach so möglich ist, beraten sich momentan sehr engagierte Damen vom Jugendamt gemeinsam mit Ronjas Frühförderstelle und dem Bezirk Oberfranken. Einige Sachbearbeiter lesen und interpretieren plötzlich Gesetzestexte, mit denen sie sich bisher noch nie auseinander setzen mussten. Ich telefoniere zwischen den Behörden hin und her.
Wir möchten, dass Ronja zu ihrer Tagesmutter gehen darf, ohne dort speziell (im Rahmen eines heilpädagogischen Platzes) gefördert zu werden. Ihre Frühförderung soll parallel dazu weiter durch die Frühförderstelle und uns Eltern erfolgen. Ronja ist für unser Jugendamt dann das erste Inklusionskind bei einer Tagesmutter. Die Art, wie ihr Fall geregelt ist, wird zum inklusiven Präzedenzfall, den wir aus Versehen ausgelöst haben. Große Aufregung um ein kleines Baby.
Vor 16 Jahren (etwa) sollte mein „besonderes“ Kind unbedingt die Kindergartengruppe wechseln… Von der Gruppe in die sie schon ein Jahr ging und wo sie immerhin eine beste Freundin gefunden hatte (der sie mehr Fortschritte verdankte als allen Therapeutinnen zusammen) in die Nachbargruppe – weil man sie dort
besser integrieren könnte – schließlich war das die Integrationsgruppe…
Der Knaller! Das ist unglaublich! Wir wurden bei unserer Krippe, in der wir schon zwei Kinder hatten und dort fünf Erzieher auf 10 Kinder sind!, auch abgelehnt, aus ähnlichen Gründen und weil man Angst vor Lukas hatte, ohne ihn sich mal anzuschauen! Dabei ist es erwiesen, dass Kinder mit Trisomie 21 von Kindern mit 46 Chromosomen profitieren! Und diesen heilpädagogischen Quatsch durch irgendwelche Leute, die wir uns nicht ausgesucht haben, wollen wir auch nicht. Dass man zehn Jahre nach Einführung der Behindertenrechtskonvention immer noch so kämpfen muss, ist ein Trauerspiel!! Wir haben glücklicherweise eine Krippe gefunden, die sich nun auf Lukas freut. Ich drücke euch die Daumen!!
Ist Ja unfassbar, wie kann es eigentlich sein, dass ihr euch da rechtfertigen müsst? Weil Ronja sonst die heilpädagogische Frühförderung zwangsgestrichen wird? Ich versteh es nicht…..
Hi Natalie,
Ja genau, es geht darum, den worst case zu vermeiden, der so aussähe, dass Ronja keine Krankengymnastik mehr bekommt, weil ihre Frühförderstunden durch den Betreuungsplatz „verbraucht“ werden. So wirr das auch ist, ich finde es ganz gut, das auch aus Prinzip mal durchzuexerzieren. Eigentlich sind ja alle auf unserer Seite. Nur kennt sich keiner wirklich gut aus und die Bürokratie ist sperrig…
Wieso sollte das passieren? Hier haben die Frühförderstunden, es gibt 60 im Jahr, nichts mit dem I-Platz zu tun. Da gibt es nochmal 15 Stunden zusätzlich pro Woche von der Stadt. Und die Krankengymnastik gibt es auf Rezept. Ich weiß natürlich nicht, wie das geregelt ist, wenn die Frühförderstelle alles unter einem Dach hat. Das würde doch aber im Umkehrschluss bedeuten, dass wenn ihr einen heilpädagogischen Platz habt, eure Fördermaßnahmen gar nicht mehr machen könnt, weil es dann keine Stunden mehr gibt. Oder wie ist das geregelt? Aber schön, dass sie auf eurer Seite sind, dann wird es bestimmt eine Lösung geben. 🙂