Am kommenden Freitag wird Ronja ein Jahr alt.
Ein Jahr. Das sind 365 Tage, in denen Ronja jetzt schon bei uns ist. 365 Tage, in denen wir alle uns so rasant entwickelt und verändert haben wie lange nicht mehr. Neben einigem anderen habe ich auch viel über Liebe gelernt. Ein paar der Gedanken, die ich dazu habe, möchte ich aus Anlass von Ronjas Geburtstag mit euch teilen.
Unter werdenden Müttern besteht ausgesprochen oder unausgesprochen immer mal wieder die Angst, ob man sein Kind wird lieben können.
Die Allgegenwart und Überbetonung des Trendthemas „bonding“ nach der Geburt zeugt vom Zweifel, dass eben dieses bonding nicht gelingen könnte, dass Bindung eben keine biologische Selbstverständlichkeit, kein Automatismus ist. Obwohl Wochenbettdepressionen, „regretting motherhood“ oder generell fehlende Gefühle für das eigene Kind mittlerweile kein Tabuthema mehr sind, widersprechen derartige Empfindungen doch nach wie vor sehr dem gesellschaftlichen Idealbild der Frau, die ihre Erfüllung in der Mutterrolle findet.
Niemand möchte nach der Geburt des Wunschkindes feststellen, dass der erhoffte große Sturm der Gefühle entweder einfach gänzlich ausbleibt, oder gar von einem anderen, düsteren Sturm negativer Emotionen ersetzt wird. Aus der Angst vor diesem Zustand heraus suchen wir nach Halt, Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit. Und wir finden sie in medizinischen Screenings, vorgeburtlichen Checkups und Optimierungsprogrammen.
Wenn das Produkt Kind nur gut genug wird, dann kann die Liebe dazu ja schließlich gar nicht ausbleiben, nicht wahr?
Werdende Mütter suchen nach dem Gefühl, „es“ in der Hand zu haben, selbst etwas tun zu können um das eigene Kind liebens-wert zu machen. Mozartbeschallung des Ungeborenen für die Intelligenz, Omega3-Fettsäuren für die Hirnentwicklung, Morsezeichen und spezielle Bauchmassagen für die frühe Kommunikation. Und all die medizinischen Tests. Ein Projekt, in das man so viele Kosten und Mühen gesteckt hat, muss doch gelingen. Und es muss uns doch glücklich machen. Das ist die Illusion.
Der Denkfehler dabei ist der, dass angenommen wird, die Ursache für Liebe sei im geliebten Objekt zu verorten.
Wir glauben, andere Menschen zu lieben aufgrund bestimmter Charaktereigenschaften, über die sie verfügen: „Ich liebe dich, weil…“. Damit schieben wir es letztlich in den Verantwortungsbereich des einzelnen, ob er sich hinreichend liebenswert macht, oder eben nicht. Das Recht und das Bedürfnis von anderen geliebt zu werden ist nichts mehr, was man einfach so hat. Es wird zu etwas, das man sich erarbeiten muss. Wer nicht geliebt wird, ist letztlich selbst schuld.
Liebe funktioniert aber nicht so. Die Fähigkeit zu lieben entsteht und existiert im Subjekt. In uns selbst. Mit demjenigen, auf den wir unsere Liebe richten, hat das viel weniger zu tun, als wir denken.
Liebe ist kein „weil“, sondern viel eher ein „obwohl“, wenn man es so ausdrücken möchte: „Ich liebe dich, obwohl…“.
Ob wir lieben können, das hat nicht nur und nicht immer, aber oft auch etwas damit zu tun, ob wir selbst Liebe erfahren haben. Denn sowohl Hass als auch Liebe haben die Eigenschaft, dass sie sich durch Gebrauch vermehren. Wenn ich lächelnd durch die Stadt gehe, bekomme ich häufig ein Lächeln zurück. Und die Lächelnden lächeln ihrerseits wieder jemanden an. Und so weiter. Das gleiche geschieht, wenn ich fluche.
Die Fähigkeit, mein Kind zu lieben, ist also ein Geschenk.
Es hat ein bisschen etwas mit Eigenleistung zu tun, vor allem aber etwas mit der Welt um mich herum und mit den Erfahrungen, die ich gemacht habe, ob ich in der Lage bin, zu lieben. Es hat wenig oder gar nichts damit zu tun, wie mein Kind aussieht, was es tut, kann, können oder werden wird. Schade, dass Mütter das meist dann erst erfahren können, wenn sie Mütter werden.
Nach fast 365 Tagen stelle ich fest, dass die Liebe zu Ronja nach dem ersten Kennenlernen nicht mehr wächst (denn sie war von Anfang an voll vorhanden), aber von Tag zu Tag differenzierter und facettenreicher wird. Je mehr ich von Ronjas Wesen kennen lerne, desto mehr Eigenheiten gibt es, die ich in meine Liebe einschließen kann.
Ich liebe Ronja nicht, weil sie dieses oder jenes tut, sondern ich liebe dieses oder jenes weil es Ronja ist, die das tut.
Ich liebe es, wenn Ronja sich kringelt vor lachen, wenn ich ihr auf den Bauch pruste. Ich liebe es, wie sie riecht, wenn sie schläft. Ich liebe es, wie sie über das ganze Gesicht strahlt und mit Armen und Beinen gleichzeitig zappelt, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme. Ich liebe es, wie sie die Ärmchen streckt, um auf den Arm genommen zu werden und sich dann an mich schmiegt. Ich liebe die unendliche Geduld und Ernsthaftigkeit, mit der Ronja Dinge wieder und wieder versucht, bis sie ihr endlich gelingen. Ich liebe die Versunkenheit und Konzentration, mit der sie sich mit sich selbst beschäftigen kann. Ich liebe das Interesse, die Freundlichkeit und Geduld, die Ronja all ihren Mitmenschen entgegen bringt. Ich liebe den anklagenden, direkten Blick in meine Augen, wenn Ronja sich weh getan hat und weint. Ich liebe es, dass Ronja jeden Tag da ist und jeden Tag genießt. Dass sie jeden Tag zu etwas Besonderem macht und jeden Tag dafür sorgt, dass Liebe sich vermehren kann.
Happy Birthday vorträglich, Baby!
Das ist wirklich ein ganz wunderbar geschriebener Text. Vielen Dank hierfür!