Ronjas Geburt ist heute genau 5 Wochen her. Ich fühle mich langsam wieder mehr in meinem Körper zuhause. Es ist ein Zurückkehren und Wiederentdecken: „Ach ja, so fühlt es sich an, den Bauch anzuspannen, aha, so funktioniert das Gehen ohne Riesenlast im Bauch und ohne Narbenschmerzen. Aah, so entspannend kann es sein, wieder auf dem Bauch zu liegen…“ und so weiter. Ich hatte heute morgen das erste mal seit Monaten wieder das Bedürfnis, ein bisschen Yoga zu machen (nur 15 Minuten und nur ein bisschen atmen und dehnen) und ich habe meinen ersten kleinen Spaziergang mit Ronja im Tragetuch gewagt: Es ging schmerzfrei. Das bedeutet, dass es Zeit wird, meinen Geburtsbericht zu beenden, denn wenn ich länger warte, werden die Erinnerungen verblassen und sich verändern.
Hier kommt also der zweite Teil meines ausführlichen Geburtsberichts.
Den ersten Teil des Berichts habe ich dort unterbrochen, wo Matthias und ich in den Kreißsaal eingezogen sind Übrigens ein netter Kreißsaal, den wir bekommen haben, auch wenn ich gewünscht hätte, dort ein bisschen weniger Zeit zu verbringen. Meine Wehen wurden jetzt immer heftiger und schneller aufeinander folgend. Jede Wehe hat mich in den Vierfüßlerstand oder weit nach vorn gelehnt an die Wand gezwungen. Bei jeder Wehe habe ich nach Matthias Hand zum quetschen gesucht und jede Wehe musste aus voller Brust laut tönend veratmet werden. Zwischendurch musste ich immer mal wieder ans CTG und sollte für 20 Minuten halbwegs ruhig in Seitenlage liegen, damit die Sensoren nicht abrutschen. Ich habe es kaum ausgehalten.
Dachte ich anfangs noch, dass die Wehen einfach immer schneller kommen, merkte ich bald, dass mir die Pausen dazwischen einfach gänzlich fehlten.
Überall wurde uns vorbereitend gesagt: „Ja, so eine Wehe kann heftig sein, aber dazwischen ist der Schmerz weg und ihr könnt euch erholen. Es ist gut auszuhalten, denn ihr wisst gerade auf dem Plateau des Schmerzes, dass dieser wieder weg geht und euch Zeit lässt, Kräfte zu sammeln…“.
Nun, ich hatte spätestens am Abend keine Pausen mehr. Ich hatte nur heftig reißenden, krampfartigen und weniger starken Schmerz. Ich bin nicht sicher, ob ich das schon damals so empfunden habe, oder ob ich es jetzt aus der Rückschau feststelle, aber: Das Schmerzgefühl war quälend, ungesund, reißend, ineffektiv, ohne Lösung, ohne Rhythmus und ohne Ziel. Am späten Abend hatte ich keine Möglichkeit mehr, damit umzugehen. Ich hatte mir vorgenommen, unter der Geburt gut mitzuarbeiten und verschiedene Positionen einzunehmen, um das Baby gut durchs knöcherne Becken zu leiten.
Ich wollte den Schmerz gut veratmen und alles bewusst erleben, aber ab kurz vor Mitternacht habe ich keinen Weg mehr gefunden.
Die Schmerzen haben mir den Atem geraubt und haben mich innerlich so heftig krampfen lassen, dass ich nicht mehr schreien konnte. Dieses „Nicht-schreien-können“ hat den Schmerz dann nur verschlimmert. „Jetzt muss es bald soweit sein, Ronja müsste langsam kommen. Ich halte es nicht mehr lange aus“, habe ich gedacht. Die Hebamme hat dann mal nachgeschaut: Muttermund bei vielleicht 2,5, maximal 3 cm.
3 cm von 10, die es braucht, um das Babyköpfchen durchzulassen! Keine Erlösung in Sicht. Noch lange nicht.
Um ein Uhr nachts wurde eine PDA gelegt.
Meine Erschöpfung und meine Schmerzen haben die Angst vor den Risiken und auch den Vorsatz, alles bewusst erleben zu wollen, überwogen. Schlimm war noch einmal das „Gebeugt-absolut-stillsitzen-müssen“, während der Zugang gelegt wird. Ich hatte furchtbar Angst, dass im falschen Moment eine Wehe kommt und die Nadel mir irgendwo ins Rückenmark geht, wo sie nicht hingehört. Die Hebamme hat mich aber festgehalten. Alles ging gut.
Die Schmerzen haben dann schnell nachgelassen.
Fast ein wenig zu gut für mein Empfinden, denn ich hätte doch ganz gern noch ein bisschen was gespürt. PDA bedeutete für mich aber auch: Von nun an muss ich liegen. Ich kann (oder darf) nicht mehr zur Toilette gehen und bekomme einen Katheter, bzw. die Blase von Hand ausgedrückt. Einen Einlauf hatten wir vorher schon gemacht. Ich hänge nun dauerhaft am CTG, um die Herztöne von Ronja zu überwachen. Ich habe einen Zugang in der Hand, zusätzlich zu dem im Rücken, um im Notfall schnell Was-auch-immer spritzen zu können. Ich hänge dauerhaft an einer Blutdruckmanschette, die sich im Viertelstundentakt automatisch aufbläst. Und ich liege auf der Seite, kann nicht mehr mit arbeiten und bin, auch um mich umzudrehen, auf Hilfe angewiesen. Meine Füße haben komisch gekribbelt und sind in den nächsten Stunden grotesk angeschwollen. Besonders meine Beine haben stark gezittert. Beides harmlos laut Hebamme, für mich aber beunruhigend zu beobachten.
Nun sollte es eigentlich langsam vorangehen.
Wir sollten versuchen uns ein wenig zu entspannen, vielleicht sogar zu schlafen.
Wir haben es versucht. Zwischen dem Piepen der Geräte, dem Pochen von Ronjas Herz, dem Aufblasen der Blutdruckmanschette. Ich weiß ab diesem Zeitpunkt nicht mehr genau, was wann geschehen ist. Ich weiß aber noch, dass unsere (übrigens sehr angenehm ruhige) Hebamme irgendwann angefangen hat zu intervenieren, um die Geburt etwas voranzutreiben. Sie hat es versucht mit einem Wehentropf, um die Wehen zu verstärken. Klingt absurd, ist aber so: Anscheinend waren meine Wehen nicht stark (oder zumindest nicht effektiv) genug, denn sonst hätten sie den Muttermund ja bereits viel weiter geöffnet. Vor der PDA hätte sie das nicht tun können, die resultierenden Schmerzen wären nicht auszuhalten gewesen, wird uns erklärt. Resultat: Alarm vom CTG. Ronjas Herztöne gehen zu sehr runter und erholen sich schlecht. Sie verträgt die starken Wehen nicht gut. „Nicht erschrecken, Sie bekommen wahrscheinlich Herzrasen jetzt“ sagt die Hebamme und gibt einen Wehenhemmer. Ich bekomme Herzrasen.
Wir warten wieder ab, versuchen es dann nochmals mit dem Oxytoxin-Tropf, diesmal schwächer, bzw. langsamer dosiert, um die Wehen wieder zu verstärken.
Vielleicht geht es besser, nachdem Ronja und ich uns etwas entspannen konnten. Gleiches Resultat. Ronja verträgt es schlecht. Wieder Wehenhemmer…
Irgendwann tastet die Hebamme wieder den Muttermund. 3 cm. So gut wie kein Fortschritt erkennbar…
Eine Ärztin kommt dazu. Sie wollen die Fruchtblase zum Platzen bringen, auch das könne die Geburt beschleunigen. Sie tasten gemeinsam und sind scheinbar irgendwie unzufrieden…
Ich spüre sowieso nichts, ich habe ja eine PDA. Ich sehe aber auch kein Fruchtwasser auslaufen. Stattdessen sind die Handschuhe leicht blutig.
Was ist los? Ich bekomme es nicht ganz mit, weiß es nicht, habe aber auch nicht die Kraft zu fragen. Etwas Schlimmes kann es nicht sein, denn die Ärztin verschwindet wieder.
Es ist mittlerweile früher Morgen. Ich habe nach wie vor keine wirklichen Schmerzen mehr, aber ich bin am Ende meiner Kräfte.
Ich lasse alles mit mir machen, ohne nachzufragen. Weil ich Vertrauen habe, aber auch weil mir die Kraft fehlt. Vor allem nervlich. Permanent die Herzgeräusche von Ronja zu hören, zu beobachten, dass die Maschine immer wieder Alarm gibt, weil diese offensichtlich zu langsam werden, das zehrt furchtbar an den Nerven. Auch an denen von Matthias, der die ganze Nacht an meiner Seite war. Wir machen uns Sorgen um unser Kind, denn es ist kein Ende in Sicht.
Muttermund: 3 cm. Vielleicht 3,5. Maximal.
Irgendwann, ich denke gegen fünf Uhr früh, kommt die Ärztin wieder und setzt sich an meine Bettkante. „Was machen wir?“ fragt sie.
Es bestehe momentan keine akute Gefahr für Ronja, sonst hätten sie schon längst etwas unternommen. Auch, dass sich der Herzschlag des Babys unter einer Wehe verlangsamt, ist ganz normal. Er muss sich dann aber schnell wieder erholen und damit hat Ronja zunehmend Probleme. Klartext: Sie verträgt den Geburtsstress zunehmend schlechter. Gut wäre, wenn die Geburt nun nicht mehr allzu lange dauert. Nur ist in meinem Fall kein Ende absehbar. „Es ist eine gemeinsame Entscheidung. Ich gehe mit Ihnen beide Wege: Sie können es entwder weiter natürlich versuchen. Dann probieren wir, durch die 3 cm Muttermundöffnung etwas Schädelblut vom Baby zu nehmen und testen daran, ob sie noch genug Sauerstoff bekommt. Bei einem guten Ergebnis kann man es weiter versuchen. Bei einem schlechten Ergebnis kann es ein, dass wir sie doch holen müssen.
Oder wir entscheiden uns jetzt für einen Kaiserschnitt.“
Ich habe im Vorfeld nie Angst vor dem Geburtsschmerz oder vor der Geburt als solcher gehabt. Ich hatte nur Angst vor einem Kaiserschnitt.
Die Vorstellung, dass man mir den Bauch aufschneidet, finde ich gruselig. Nun war ausgerechnet das, was ich auf keinen Fall wollte, vor dem ich am meisten Angst hatte, ganz nah. Ich hatte große Angst davor. Immer noch. Vor der Entscheidung und auch vor der OP. Ich bin ja bei Bewusstein dabei – wie stehe ich das durch? Wie wird es sich anfühlen? Werde ich nicht doch Schmerzen spüren?
Nein, ich möchte bitte, bitte keinen Kaiserschnitt.
Aber was ist, wenn ich mich jetzt dagegen entscheide, aufgrund meiner eigenen Angst, und wenn Ronja dann etwas passiert? Was, wenn wir es weiter versuchen und sie dem Stress ganz plötzlich nicht mehr gewachsen ist? Wenn man sie vielleicht nicht schnell genug holen kann und sie unterversorgt wird mit Sauerstoff?
Ich werde mir mein Leben lang Vorwürfe machen, wenn ich diese Entscheidung nicht ausschließlich im Sinne meines Kindes treffe. „Sie hat es so tapfer versucht, alleine auf die Welt zu kommen. Kleine Kämpferin. Vielleicht hat sie nun einfach keine Kraft mehr und es ist Zeit, sie zu holen.“ Das haben wir uns gesagt und uns für einen Kaiserschnitt entschieden…
Von der OP und der Zeit danach erzähle ich im dritten Teil meines Geburtsberichtes.