Heute Nachmittag: Frauenklinik, ärztliches Konsil zu Ronjas Herz.

Ich habe es schon jetzt so satt.

Ich hasse Krankenhäuser, Arztpraxen und Ärzte, die mein Baby konsequent nur mit „es“ bezeichnen. Ich hasse das neutrale Gehabe, die ewige Warterei in Wartezimmern und Fluren, den Geruch und die gedämpfte Stimmung. Ich hasse es, Papierkram, gefühlt endlose Formulare und Anmeldungen ausfüllen zu müssen und ich hasse das Gefühl, eigentlich keinem der Ärzte, die um uns herum schwirren, vertrauen zu können. Ich hasse es, dass sich eigentlich keiner wirklich zuständig fühlt und dass ich bei allem, was geschieht, selber aufpassen muss, damit kein Fehler passiert.

Wann muss ich den nächsten Termin koordinieren, welche Praxis muss ich daran erinnern eine Überweisung auszustellen, welche Diagnosen müssen noch im Mutterpass eingetragen werden?

Wo müssen wir als nächstes hin, wie hieß nochmal der Arzt, bei dem wir nun angemeldet sind? Warum muss ich mich von der Frau am Empfang so abkanzeln lassen, nur weil wir uns im Mikrokosmos Krankenhaus nun einmal (noch) nicht so auskennen?

Krankenhausflur

Nach 3 Stunden bin ich am Ende meiner Kräfte.

Ich will das alles nicht mehr, will keinen Arzt mehr sehen, will mein Baby nicht immer und immer wieder untersuchen lassen und ich will auch nicht immer und immer wieder subtil darauf hingewiesen werden, dass wir Ronja ja auch einfach töten könnten: „Die Eltern haben sich für eine Fortführung der Schwangerschaft entschieden“, wird auch dieses mal wieder im Arztbrief dokumentiert.

Ich will dies alles nicht mehr, aber gleichzeitig soll die ärztliche Kontrolle immer engmaschiger werden, je näher Ronjas Geburt rückt.

Es fühlt sich an, als streckt das Monster Krankenhaus und medizinische Diagnostik seine klebrigen Spinnenarme nach uns aus und wir bleiben dran kleben. Der Stoff, der uns anzieht und uns kleben lässt, heißt Angst: Natürlich werden wir alle empfohlenen Vorsorgetermine wahrnehmen, denn es könnte ja etwas mit Ronja sein. Natürlich werden wir zur Geburt in die Spezialklinik gehen, denn es könnte ja Komplikationen geben. Natürlich werden wir uns immer und immer wieder anhören, wie Ärzte unser Kind vermessen, testen und beurteilen, denn das ist eben so bei einer vernünftigen Diagnostik. Wir werden all das mitmachen aus Angst und Sorge um unser Kind. Wir tun es, obwohl es uns nicht guttut, obwohl ich es jetzt schon hasse. Und wir tun es, obwohl ich mir gar nicht so sicher bin, ob all dies wirklich das Beste ist für Ronja. Vielleicht ist einiges auch nur das Beste für Ärzte, Krankenhäuser oder Krankenversicherungen. Aber wie soll ich als Laie das beurteilen?

So ist das Gefühl nach 3 Stunden Krankenhaus: Angst, Abwehr, Erschöpfung, Sorge.

Bild: Schrei im Spiegel

Kommen wir zu den Fakten:

Der Fokus des heutigen Termins sollte ja auf Ronjas Herz liegen. Dementsprechend war nicht nur die Feindiagnostikerin da, die Feinultraschall und Doppler-Sonographie durchgeführt hat, sondern zusätzlich wurde Babys Herz auch noch von einer Kinderkardiologin beurteilt.

Der Herzfehler ist anscheinend immer noch schön normgerecht, das hat jetzt auch noch die Kardiologin bestätigt.

Weil Ronja sich bei bisher jeder Untersuchung so kooperativ zeigt und uns schön ihr Herz präsentiert, ist dieser Befund auch ziemlich sicher. Das bedeutet, wir müssen uns was das Herz angeht, wahrscheinlich auf keine nachgeburtlichen Überraschungen einstellen. Ansonsten schlägt das Herz schön regelmäßig.

Außer einem etwas kurzen Nasenbein gibt es keine weiteren Auffälligkeiten an Ronja. Das mit dem Nasenbein hat medizinisch weiter nichts zu sagen, sondern es entspricht einfach dem etwas flacheren Profil, das viele Kinder mit DS (Down Syndrom) haben. Ronja hat auch weiter zugenommen: Über 500g. Sie wiegt jetzt 1325 Gramm. Ich war erst sehr stolz und erleichtert, wurde dann allerdings korrigiert:

Mein Baby ist sehr, sehr leicht für sein Alter. So leicht, dass sie statistisch am untersten Ende des untersten Normbereichs für gesunde Kinder liegt.

Allerdings hat sie Trisomie 21 und für Kinder mit Trisomie 21 gibt es zumindest nachgeburtlich eigene Wachstumskurven. Das habe ich mir angelesen. Diese Kinder bleiben nämlich im allgemeinen eher etwas kleiner, so dass sich die „Norm“ bei Down Syndrom quasi nach unten verschiebt.

Was bedeutet das nun also für mein Baby? Müssen wir uns  Sorgen machen, oder klingt Ronjas geringes Gewicht für mich nur deswegen so bedrohlich, weil die Ärztin falsche Maßstäbe (nämlich die Wachstumsperzentile für Kinder mit 46 Chromosomen) zugrunde legt? Rational kann ich diese Frage nicht beantworten.

Emotional genügt der Befund, um in mir wieder tiefe Sorge um mein Kind auszulösen.

Sie ist in mir, ist mir so nah, und doch kann ich nichts dafür tun, dass sie dicker wird. Das will mir nicht in den Kopf; es macht mir Schuldgefühle, macht mich traurig und besorgt. Und ich kann nichts tun für mein Baby, außer ihr so viel Liebe zu schicken wie möglich.

Diesmal war, was die Geburt angeht, anders als beim Arzt in Nürnberg übrigens nicht von einem Kaiserschnitt die Rede.

Stattdessen hat uns die Ärztin empfohlen, über eine eingeleitete „Termingeburt“ nachzudenken.

Der Hintergrund ist wohl einerseits der lange Anfahrtsweg von einer Stunde, den wir nach Erlangen haben. Der andere Grund ist der, dass für ein Baby mit DS prinzipiell ein höheres Risiko für alle möglichen Komplikationen während der Schwangerschaft besteht. Bis kurz vor Entbindungstermin übersteigt der Nutzen einer längeren Zeit im Mutterleib noch die Risiken. Ab kurz vor Entbindungstermin, so die Ärztin, profitiert das Baby aber kaum noch von einer Fortführung der Schwangerschaft. Stattdessen steigt z.B. das Risiko, dass die Plazenta das Baby nicht mehr richtig ernährt, oder dass das Fruchtwasser „kippt“, erheblich an. Deswegen sei es empfehlenswert, ungefähr in Schwangerschaftswoche 38/39 einzuleiten. Einleiten würde man durch mechanische Stimulation der Gebärmutter und ggf. unterstützend durch Medikamente. Da das ganze braucht, um zu wirken, würde ich schon ein paar Tage vor der eigentlichen Geburt zur Überwachung im Krankenhaus einziehen müssen.

Bild: Fuß Frühchen

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

„Das Baby profitiert ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr von seiner Zeit im Mutterleib“ – kann das wirklich sein? Ganz unmedizinisch betrachtet klingt das für mich nicht wirklich sinnvoll. Ist es wahrscheinlich, dass wir Menschen, was die Schwangerschaft angeht, tatsächlich solche Sinnlosigkeiten und „Mängel“ in unserer Natur haben? Es hat doch sonst biologisch so ziemlich alles seinen Sinn und Zweck oder hat diesen zumindest mal gehabt…

Was also tun wir mit dieser Empfehlung?

Der Angst nachgeben, auf die Gefahr hin, ein unschönes Geburtserlebnis zu haben? Ich denke da nicht nur an mich, denn was mich stresst, das tut letztendlich auch Ronja nicht gut. Oder auf die Natur vertrauen und einen natürlichen Wehenbeginn abwarten, in der Hoffnung, dass alles gut geht und Ronja nicht doch etwas passiert?
Zum Glück müssen wir dies jetzt noch nicht entscheiden.

Es ist auch gar nicht so unwahrscheinlich, dass sich diese Frage gar nicht stellt und Ronja von selbst vor dem errechneten Termin zur Welt kommen möchte. Ab Schwangerschaftswoche 37 ist das ganz normal. Oder sie muss aus handfesten medizinischen Gründen früher auf die Welt gehört werden. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn sie nicht mehr richtig wächst, da die Plazenta schwächelt. Ihre (meine) Plazenta hat nämlich auch Trisomie 21, haben wir heute gelernt. Da ist einiges an Fehlfunktionen möglich…

Für uns bedeutet das:

Wir halten uns einfach den ganzen Mai über bereit für Ronja. Ein Juni-Baby wird sie wohl nicht werden.

Direkt nach der Geburt muss Ronja für ein paar Tage auf die Neonatologie um dort überwacht, untersucht, und falls nötig, gepäppelt zu werden. Das hatte ich ja schon berichtet. Allerdings ist diese Station in einem extra Gebäude untergebracht. Ich liege also auf der Entbindungstation, Ronja auf der Neonatologie.
Ich kann zu ihr, wann immer ich will und wenn ich noch nicht laufen kann, werde ich im Rollstuhl geschoben, das hat man mir versprochen. Der Gedanke, dass mein zartes Baby dort irgendwo ganz alleine im Bettchen liegen muss, bringt mich trotzdem zum Weinen.

Kinderhändchen

Die Wöchnerinnenstation und die Zimmer anzuschauen und zu wissen, dass ich wahrscheinlich bald in einem dieser Zimmer liegen werde, allein, ohne mein Baby und wahrscheinlich mit einer Zimmernachbarin, die ihr Kind bei sich haben darf, das ist nicht leicht gewesen.

Schöner war da unser Besuch im Ronald McDonald Haus. In diesem Haus bekommt unsere Familie ein Zimmer, wenn Ronja länger in der Klinik sein muss, also länger als die Zeit, die ich sowieso auf der Entbindungsstation bin. Das Haus ist extra für die Familien kranker Kinder, die von weiter her kommen. Es liegt direkt neben dem Krankenhaus und wir, aber auch sonstige Familie oder Freunde, bekommen dort ein Zimmer und  können dort wohnen, solange Ronja im Krankenhaus sein muss. Ein schönes Angebot, auch für die Zeit während der Operation.

Fazit dieses Tages:
Objektiv: Keine schlimme Diagnose dazugekommen. Alles im Rahmen.
Subjektiv: Jede Kontrolluntersuchung ist ein unglaublicher Kraftakt – ich hasse es bereits jetzt.
Mein Wunsch: Schickt meinem kleinen, zarten Mädchen Liebe und gute Gedanken. Sie soll schön zunehmen. Einen anderen Weg ihr dabei zu helfen, gibt es nicht.

P.S.: Gruß von meinem Baby. Gerade jetzt fängt sie wieder an zu treten :-). Nach wie vor habe ich nicht das Gefühl, dass ihr irgend etwas fehlt.

3 Gedanken zu “Abwehr (Über Aufklärung, Teil 3)

  1. Hallo!
    Ich würde auf das vorgeburtliche Messen auch nicht zu viel Wert legen, schon oft habe ich mitbekommen, dass das tatsächliche vom
    angegebenen Gewicht abweicht. Abgesehen davon ist mein Kind auch zu leicht für seine SSW auf die Welt gekommen (mit weniger Gewicht als Ronja jetzt haben soll) und ist auch jetzt mit 2 Jahren noch ein schmales Hemdchen. Gestört hat das bisher aber weder uns noch ihn. In den Inkubatoren neben ihm lagen zu Beginn seines Lebens Kinder mit unter 700g Geburtsgewicht – da relativiert sich im Vergleich einiges.
    Mit dem Ronald McDonald Haus haben wir (in einer anderen Stadt) auch tolle Erfahrungen gemacht. Ja, es ist richtig doof, das eigene Kind nicht rund um die Uhr bei sich zu haben, aber manchmal geht es eben nicht anders.
    Ich wünsche euch alles Gute! Liebe Grüße Anika

    1. Liebe Chris, liebe Annika,

      ja, wahrscheinlich habt ihr beide Recht. Es ist einfach sehr schwer nicht in Sorge zu verfallen, wenn einem nacheinander alle „Risikofaktoren“ aufgezählt werden, die Ronja schon angesammelt hat…Wobei ich das Gefühl habe, dass sich da jeder Arzt etwas anderes aussucht, was besonders „schlimmm“ ist: Mal ist der AVSD das Problem, warum man Ronja besonders überwachen muss, mal ist es das DS an sich und jetzt kommt auch noch ihr (angeblich zu niedriges) Gewicht dazu…
      Ich werde mich übrigens, habe ich gestern entschieden, mal nach einer anderen Klinik umschauen, wo wir zur Geburt hingehen könnten. Ich möchte eine gute Versorgung für mein Baby, klar, allerdings auch keine unnötigen Interventionen nach dem Motto: „Es könnte ja eventuell sein, dass….“
      Ich werde berichten.

      Liebe Grüße

      Gundula

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