U3, Sprechstunde beim Arzt. Ein Blick in Ronjas Untersuchungsheft: „Trisomie 21, AVSD“ steht da. Es folgt ein prüfender, sorgenvoller Blick aufs Kind (das übrigens am ganzen Körper kleine Pickel bekommen hat, seit wir die Arztpraxis betreten haben). „Wie klappt es denn mit dem Trinken…?“ „Prima“, antworte ich. „Sie wird voll gestillt und nimmt gut zu“. Keine Antwort. Der Arzt blättert in Ronjas Untersuchungsheft. „Na, dann gehen wir mal zum Ultraschall…“.

Sprechzimmer, später. Ronja hat Hunger bekommen. Während wir auf die Rückkehr des Arztes warten, stille ich sie. Arzt tritt ein, sieht uns. Prüfender Blick aufs Kind: „Ach, das mit dem Stillen scheint aber ganz gut zu klappen. Sie trinkt ja ganz gut jetzt“.

Ich (innerlich): „HABE ICH IHNEN JA GERADE SCHON GESAGT! WARUM FRAGEN SIE MICH ÜBERHAUPT, WENN SIE DOCH NICHT HÖREN, WAS ICH SAGE? GLAUBEN SIE, ICH LÜGE SIE AN?“

Ich äußerlich: schmales Lächeln. „Ja, das klappt gut.“

Fehlende Bestürzung
Es irritiert, dass wir nicht angemessen trauern (bitte kein shitstorm: Bier ist alkoholfrei)
Die Menschen um uns herum meinen es nicht böse, aber die allermeisten scheinen das zwanghafte Bedürfnis zu verspüren, Ronja und uns Eltern in irgendeine Schublade zu stecken.

In Ronjas Fall soll es natürlich die „Downie“ Schublade sein (was auch immer das bedeutet…). Ärzte, Jugendämter, Frühförderstellen etc., alle haben ganz bestimmte Erwartungen an Ronja und uns: Dass Ronja trinkschwach ist, dass sie schlaffe Muskeln hat, dass wir als Eltern „viel Kraft“ brauchen, in dieser schweren Zeit, dass wir am besten in einer Eltern Selbsthilfegruppe aufgehoben sind, und, und, und…

Ist ja auch nicht böse gemeint und wäre ja auch nicht schlimm, wenn all dies denn zuträfe.

Tatsache ist allerdings, dass Ronja einfach nicht so recht in die Downie Schublade passen will. Wäre auch nicht schlimm, wenn sie es täte. Tut sie aber nicht. „Ganz normal“ ist sie aber irgendwie auch nicht. Hm, sehr schwierig…

Die meisten lösen dieses Einordnungsproblem ganz pragmatisch nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Alles, was nicht passt, wird einfach überhört. Dass ich SAGE, dass sie gut trinkt: überhört. Dass ich erzähle, wie entspannt es mit ihr ist: Ich rede es mir halt schön. Dass ich zum fünften mal irgendwem erkläre, warum wir momentan keinen Kontakt zur Eltern-Selbsthilfegruppe brauchen: Muss Angst vor der Konfrontation mit der Krankheit sein. Und so geht es weiter… Am irritierendsten scheint zu sein, dass wir als Eltern einfach nicht trauern.

Einfach Ronja
Einfach Ronja
Hinter diesem „Schubladendenken“ steht genau das Fehlurteil, das man beim Thema Rassismus schon lange erkannt, problematisiert und teilweise überwunden hat:

Es ist die Annahme, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Rasse“ und die Zuordnung aufgrund bestimmter äußerer Merkmale lasse irgendwelche Rückschlüsse auf den Charakter oder die Talente eines Menschen zu. Dem ist nicht so. Es mag statistisch so sein, dass viele Menschen aus Südafrika gut singen können. Im Einzelfall kann das aber ganz anders sein. Das Vorurteil hilft in keiner Weise den Menschen einzuschätzen, der konkret vor mir steht. Es steht dem sogar massiv im Wege.

So verhält es sich auch mit Ronja, uns und ihrem Down Syndrom.

Mir eine Elterngruppe zu empfehlen allein aufgrund der Tatsache, dass deren Kinder „…auch das Down Syndrom haben…“ ist in etwa so sinnvoll, als würde man Obama empfehlen, sich doch unbedingt mal mit den Massai in der Serengeti zu treffen, da diese schließlich „…auch dunkelhäutig sind…“.

Ich ziele bei dem Vergleich nicht auf Unterschiede im Intellekt, sondern auf unterschiedliche Lebenswelten ab.

Also, ich habe sehr viel, sehr guten Kontakt zu anderen Eltern von Kindern mit DS. Aber was uns verbindet, das sind ähnliche Probleme, Erfahrungen, Sichtweisen oder einfach ähnlicher Humor. Es ist nicht die Trisomie an sich. Das ist nur ein kleiner Unterschied. Aber er ist wichtig.

Die Trisomie beschreibt mein Kind nicht. In keinster Weise. Wie kein Mensch durch irgend ein äußereres Merkmal beschrieben werden kann, so sagt es auch über Ronja nichts aus zu wissen, dass sie ein zusätzliches Chromosom besitzt.

Es braucht mehr Räubertöchter
Das habe ich von einer Mutter bekommen, deren Kind „auch DS“ hat. Was uns verbindet sind ähnliche Ansichten…

Auch hier wieder: Bitte nicht falsch verstehen. Ja, man darf sagen, dass Ronja behindert ist. Wir sind da nicht empfindlich, solange es nicht abwertend gemeint ist. Sie IST irgendwo anders als andere, alleine schon durch ihr krankes Herz. Klar wird die Trisomie ihr Leben irgendwo prägen und klar wird es dadurch anders sein, als das Leben anderer Menschen. Wie übrigens jedes Leben irgendwo „anders“ ist. Aber in welcher Form und an welchen Stellen das geschieht, das wissen wir nicht. Es wird „Ronja-individuell“ sein und die Diagnose Down Syndrom hilft da wenig weiter.

Liebe Leute denen das schwerfällt, versucht doch also bitte einfach, Ronja Ronja sein zu lassen. Wie die Räubertochter im Buch zieht sie lieber alleine und frei mit Birk in den Wald, als sich für die eine oder andere Räuber-Sippe zu entscheiden.

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