…denn sie hat ein Chromosom mehr, als wir alle. Das 21. Chromosom kommt bei ihr in allen Körperzellen dreimal vor, statt zweimal, wie bei uns.
Ich möchte versuchen euch zu erklären, was dadurch an Ronja besonders sein kann.
Wir alle haben 23 Chromsomenpaare in jeder Zelle, also 46 Chromosomen. Bevor diese Chromosomen bei der Befruchtung miteinander verschmelzen, müssen sie sich zu Keimzellen teilen, damit je ein Chromosom der Frau mit einem Chromosom des Mannes zusammen wachsen kann, um ein neues Leben zu schaffen. Bei der Entstehung von Ronja haben sich die Chromosomen 21 bei einem von uns nicht trennen wollen und sind zusammen geblieben. Sie hat deshalb 1 komplettes Paar plus eine weitere, geteilte Keimzelle von uns mitbekommen. Sie besitzt also das 21. Chromosom 3 mal. Deshalb Trisomie 21 (griechisch tri = 3).
Man spricht von Trisomie 21 oder Down Syndrom, benannt nach dem Arzt, der dieses Phänomen als erster untersucht hat. Viele kennen vielleicht auch den Begriff Mongoloid. Der stammt aus einer Zeit, in der man noch viel weniger als heute wusste und er ist sehr negativ und trostlos besetzt. Wir mögen ihn deshalb nicht besonders und er wird auch nicht mehr gebraucht.
Was wir bisher erfahren haben ist vor allem, dass man tatsächlich noch sehr wenig über das Down Syndrom weiß.
Es wird gerade momentan ständig entdeckt, wie viele Dinge Menschen mit Trisomie 21 können, die man vor ein paar Jahren noch für medizinisch unmöglich gehalten hätte. Aber eins nach dem anderen.
Was man medizinisch sagen kann ist, dass die Trisomie in den allermeisten Fällen einfach zufällig auftritt. Das Chromosomenpaar eines Elternteils, meistens das der Mutter, bleibt vor der Zeugung jedes ca. 700. Kindes einfach zusammen. Das lässt sich nicht verhindern, außer indem man die Kinder, bei denen dies geschieht, eben nicht leben lässt.
Viele haben bestimmt davon gehört, dass das Risiko für Trisomie 21 mit dem Alter der Mutter steigt. Das ist wahr, aber hauptsächlich aus der Beobachtung abgeleitet. Man weiß nicht genau, warum das so ist. Jede Wahrscheinlichkeitsangabe dazu beruht einfach nur auf den Erfahrungen, die man bisher gemacht hat. Genauso wenig weiß man, wie genau der kausale Zusammenhang ist zwischen dem zusätzlichen Chromosom und den typischen Auswirkungen, die dieses hat. Die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten, ein anderes Seelenleben und vielleicht anderes Aussehen bei Menschen Down Syndrom sind hauptsächlich Beobachtungen die man gemacht und Statistiken, die man erfasst hat. Verstanden hat man bisher viel weniger, als wir dachten.
Was wir aber wissen ist, dass kein Mensch mit Down Syndrom dem anderen ähnelt.
Wir wissen nicht, ob Ronja Musik lieben wird oder die Natur. Ob sie sportlich und aktiv sein wird oder verträumt und schüchtern. Ob sie gerne zur Schule geht und lernt, oder mit ihrer Zeit lieber etwas anderes anfängt. Wir wissen nicht, was ihre Stärken und Schwächen sein werden und wie jedes Kind wird sie wahrscheinlich einen völlig anderen Weg gehen, als den, den wir uns vorgestellt haben. Ihren eigenen eben.
Egal, ob 46 oder 47 Chromosomen: Ronja wird erst unser süßes Baby sein und dann ein Kleinkind, dessen Lieblingshaltung „Nein“ und „alleine machen“ uns viel Geduld und Nerven abverlangt. Sie wird in den Kindergarten gehen und in die Schule, sie wird in die Pubertät kommen und an sich und der Welt verzweifeln und sie wird später hoffentlich das Leben führen können, das sie selbst gewählt hat und weitestgehend selbst gestaltet. Ein schönes Beispiel wie ein solches Leben aussehen könnte liefert dieses Interview.
Um das zu erreichen braucht sie mehr Unterstützung als andere Kinder, das wissen wir auch.
Als Baby wird sie wahrscheinlich länger brauchen um ihr Köpfchen zu heben, selber zu sitzen und laufen zu lernen. Das hat auch damit zu tun, dass ihre Muskeln etwas schwächer und weicher sein können und geduldiges Training brauchen um kräftig zu werden. Besonders mit dem Sprechen tun sich viele Kinder mit Down Syndrom schwer. Nicht, weil sie einen nicht verstehen oder nicht sprechen wollen, sondern weil es schwierig sein kann, die Worte, die im Kopf sind, richtig zu artikulieren. Ronja wird sehr schnell sehr viel mehr verstehen als sie ausdrücken kann – Bewusstheit bitte, was vor ihr gesprochen wird.
Ob Ronja sich in diesen Dingen sehr schwer tut oder ob Anfangs kaum ein Unterschied zu anderen Babys zu bemerken ist, das müssen wir abwarten.
Auch wie sie sich dann weiter entwickelt und wie viel sie lernen kann, ist nicht abzusehen. Es kann sein, dass sie einen ganz normalen Schulabschluss machen kann. Möglich aber auch, dass sie nie lesen, schreiben und rechnen lernt und ihr Leben lang viel Betreuung braucht.
Für den Umgang mit ihr als Baby gilt aber erstmal gar nichts Besonderes. Es ist nur wichtig, viel Geduld mit ihr zu haben, bis sie auf all das reagiert, was man ihr anbietet.
Sie wird reagieren, nur eben in ihrem eigenen Tempo.
Unsere Aufgabe als Eltern wird es sein, immer darauf zu achten wie viel wir von ihr fordern können und müssen und an welchem Punkt es für sie zur Überforderung wird. Naja, das klingt nach einer sehr üblichen elterlichen Herausforderung, oder?
Was wir über mögliche gesundheitliche Probleme wissen, die sie haben könnte, ist einerseits sehr viel, andererseits sehr wenig. Denn auch hier ist alles möglich.
Zunächst steht für uns ihr Herz im Vordergrund. Das muss gesund werden, dann folgt alles weitere. Zum Herzen möchte ich an anderer Stelle mehr erzählen. Es kann daneben eine Vielzahl von medizinischen Problemen geben, mit denen Ronja zu tun hat, es kann aber auch sein, dass sie kerngesund ist, nachdem ihr Herz repariert werden konnte.
Ob und welche Probleme sie vielleicht haben wird ist so unsicher, dass wir uns erstmal gar nicht groß damit beschäftigen möchten, zumal man das auch sehr gut überall nachlesen kann. Einen guten Überblick dazu und auch zum Down Syndrom allgemein haben wir hier gefunden.
Welche Probleme (wie z.B. schlechte Augen oder Ohren) bei ihr verstärkt vorkommen können, müssen dann später vor allem wir als ihre Eltern im Bewusstsein haben. Es soll nämlich nicht passieren, dass wir uns damit abfinden, sie könne dieses oder jenes eben nicht, weil sie Down Syndrom hat, in Wirklichkeit aber liegt es zum Beispiel einfach. einfach nur daran, dass sie schlecht sieht. Früher kam so etwa sehr häufig vor, weswegen viele Menschen mit Down Syndrom weit hinter ihren Möglichkeiten zurück geblieben sind. Heute gibt es Gott sei Dank viele gute Anlaufstellen, wo man schaut, welche speziellen Hilfen sie genau benötigt und welche „unnötigen“ Einschränkungen sich leicht (z.B. mit einer Brille!) beseitigen lassen.
Liebe Ronja, lass dir bitte niemals erzählen, dass du etwas nicht kannst oder nicht versuchen solltest, nur wegen eines zusätzlichen Chromosoms.
Du hast uns nicht nur ein Chromosom voraus, sondern daneben bestimmt eine Menge Dinge, von denen wir jetzt noch gar nichts wissen. Wie wir alle wirst auch du deine Grenzen erkennen und lernen müssen, sie zu akzeptieren. Das kann hart sein, ich weiß. Aber welche Chancen, Talente und Träume du hast, sollst du, wie wir alle, frei entdecken dürfen. Wir werden dich so gut wir können darin unterstüzen, diese zu verwirklichen.
Wir, deine Eltern, sind nicht Einstein und Marie Curie und auch von dir erwarten wir nicht, dass du Hochschullererin oder Primaballerina wirst. Wir lieben dich, egal was du tust. Es gibt allerdings Menschen, die beweisen was du auch mit Down Syndrom alles schaffen kannst. Lass dich also nie entmutigen an deinen Träumen zu arbeiten!
Deine Eltern