Wir haben schöne und ereignisreiche Tage hinter uns. Das Wetter ist wundervoll, der Garten wächst und blüht auf, wir hatten lieben Besuch und haben meinen Geburtstag mit einem unerwartet großen Hoffest nachgefeiert.
Ich weiß noch, dass ich mir, kurz nachdem wir die Diagnose DS und AVSD bekommen haben, absolut nicht vorstellen konnte meinen Geburtstag überhaupt zu feiern.
Die Zeit vor der Geburt erschien mit ungewiss, düster und voller Ängste und Sorgen. Als gäbe es Freude nur noch für die anderen und nicht mehr für uns. Als wäre meine bisheriges Leben durch die Krankheit meines Kindes unwiderbringlich verloren. Dementsprechend habe ich auch lange nichts geplant. Zunächst aus fehlendem Antrieb, dann aus Kraftmangel. Zu sehr waren wir in Gedanken bei unserem Kind – geradezu egoistisch schien es mir da, den eigenen Geburtstag feiern zu wollen. Umso schöner war es dann zu erleben, wie auch ganz ohne große Planung eine wundervolle Feier entstehen kann. Toll war auch zu erkennen, wie viele Menschen wir um uns herum haben die für uns da sind, sich mit uns freuen und auch mit uns leiden. Man muss die Teilhabe und Unterstützung nur zulassen.
Es waren auch viele Babys da.
Ich hatte vor einigen Wochen noch Bedenken, ob es mich nicht allzu traurig machen könnte, ein kerngesundes Neugeborenes im Arm zu halten, während wir mit unserer Ronja so viele Sorgen haben. Dem war überhaupt nicht so. Mein Gefühl war eher gegenteilig: Hier ist ein Baby, dort ist ein Baby und bald wird eben auch unsere Ronja eins dieser Babys sein. Dieses Baby hat diese Besonderheit, jenes jene Individualität und unsere Ronja hat die ihrige. Sie wird wunderbar integriert sein und voll dazugehören. Das war mein Gefühl.
Dieses Gefühl von Zugehörigkeit hat sicher auch damit zu tun, wie wir selber mit Ronja und ihrer Diagnose umgehen und anderen gegenüber treten.
Dadurch, dass wir allen von Anfang an gesagt haben, was sie vermutlich hat und dadurch, dass wir mittlerweile anscheinend (wieder) ausstrahlen, wie sehr wir uns auf sie freuen, haben wir ein sehr offenes Gesprächsklima geschaffen. Unser Baby ist Thema wie jedes andere Baby auch. Freunde und Bekannte trauen sich, nach ihren speziellen Problemen, nach der Trisomie und dem Herzfehler zu fragen. Gleichzeitig ist dies aber nicht das beherrschende Thema. Auch neben Ronja haben wir noch ein Leben mit Hobbies, Freunden, Freizeit, Beruf und Interessen. So soll es sein und bleiben.
Bei allem Schönen, was wir erleben, ist meine Stimmung doch nicht immer nur heiter.
Tatsächlich schwanke ich emotional immer wieder zwischen Extremen. Mal freue ich mich unbändig darauf, mein Baby endlich begrüßen zu dürfen. Ich sortiere zum fünften mal ihre Klamotten, singe ihr Lieder vor und freue mich sogar auf die Besonderheiten und die Herausforderung durch ihr Down Syndrom. Dann wieder treibt mir irgendeine Kleinigkeit die Tränen in die Augen und bringt genau die Fragen wieder auf, die ich dachte, abgehakt zu haben: „Warum wir? Warum Ronja? Warum muss bei uns alles anders sein? Was haben wir falsch gemacht? Wie wird es werden mit ihr? Was, wenn alles viel schlimmer kommt, als erwartet? Mache ich mir mit meinem Optimismus und meiner Vorfreude nur etwas vor?“
Was mir sehr hilft, mit diesen immer wieder aufkommenden Ängsten und der Trauer fertig zu werden, ist die Gewissheit, dass es für uns keine Entscheidung darüber gab, ob Ronja leben darf oder nicht.
Ich hatte darüber schon direkt nach der Diagnose berichtet. Klar, „rational“ betrachtet hatten wir natürlich eine Wahlmöglichkeit, die wir auch schon früher im Rahmen des Ersttrimester-Screenings hätten in Anspruch nehmen können. Emotional aber war Ronja einfach da. Sie ist so in unser Leben getreten, wie sie nunmal ist. Schicksalhalft. Dieses Bewusstsein entlastet ungemein, wann immer ich beginne zu hadern, denn es gibt mir die Beruhigung, dass die Dinge, unabänderlich und so wie sie sind, schon ihren Sinn haben werden.
Ich muss in letzter Zeit öfter an eine Begebenheit aus meiner Frühschwangerschaft denken.
Es muss zwischen elfter und fünfzehnter Schwangerschaftswoche gewesen sein, als ich bei meiner Hebamme saß. Ich habe ihr all die Flyer über zusätzliche Vorsorgeleistungen gezeigt, die man kostenpflichtig zur normalen Betreuung dazubuchen kann. Ich wollte ihre Meinung über Sinn und Unsinn dieser Untersuchungen hören. Natürlich ging es dabei auch um die Bestimmung des Risikos für Down Syndrom.
Während ich davon gesprochen habe, dass diese Untersuchungen für Matthias und mich nicht in Frage kommen, sind mir plötzlich und unerwartet die Tränen in die Augen gestiegen. Während ich erklärt habe, dass es für mich unvorstellbar ist, ein kleines Wesen zu töten, nur weil es ein Chromosom mehr hat als andere Kinder, hat mich dies unerwartet tief bewegt und gerührt. Ich musste weinen. Ob ich familiär mit diesem Thema zu tun habe, wollte meinen Hebamme wissen. „Nein“, habe ich gesagt. Meine Auseinandersetzung damit ist rein intellektuell gewesen: Philosphiestudium, Bioethik. Die Tränen und meine Rührung habe ich damals auf die Schwangerschaft geschoben.
Heute frage ich mich, ob mein Körper bereits damals sehr viel mehr wusste als mein Verstand und ob sich Ronja mit ihrem Down Syndrom bereits da „gemeldet“ und mitentschieden hat.
Wenn das so ist, dann ist das nicht erschreckend, sondern wundervoll, denn es zeigt mir einmal mehr, dass es nie an uns lag, irgendeine Entscheidung zu treffen.
An uns liegt es nur, das Wesen, das zu uns kommen möchte, zu lieben und anzunehmen.