Es ist schon bemerkenswert, wie sehr sich mein Gefühl für das, was „normal“ ist, in kurzer Zeit angepassst hat. Es ist für uns normal geworden, alle 10 – 14 Tage den Nachmittag in einer Arztpraxis oder im Krankenhaus zu verbringen: Feinultraschall, normale Vorsorge, Entbindungsstation angucken, anmelden zur Entbindung, kardiologisches Konsil… irgend etwas war in den letzten Monaten immer.

Gestern hatte ich das erste mal nicht mehr das Gefühl, dass wir es schwerer haben als andere Eltern und Schwangere in der Arztpraxis, sondern alles hat sich für mich, nun ja, normal angefühlt.

Und das, obwohl ich ursprünglich eigentlich eine überwiegende Hebammenbetreuung haben wollte. Der „Plan“ war, den Gynäkologen genau dreimal zu sehen und zwar zu den jeweils empfohlenen 3 Ultraschall-Untersuchungen. Ultraschall ist das einzige, was die Hebammen an normaler Vorsorge nicht machen. Alles andere geht dort genausogut wie beim Arzt.

Schublade mit Babysachen
Langsam häufen sich die Dinge für Ronja. Sie ist schon sehr präsent.
Es ist ganz anders gekommen und das macht mir momentan gar nichts mehr aus.

Es beruhigt mich eher zu beobachten, wie gut und schnell mein Gefühl in der Lage ist, sich an andere, außergewöhnliche Umstände anzupassen. Das Gefühl von Normalität, von „festem Boden unter den Füßen“ kann kurzfristig abhanden kommen, aber es stellt sich immer wieder ein. Egal wie die Umstände sind. Normalität ist für jeden das, was er oder sie regelmäßig erlebt. Das, was für den Alltag typisch ist. Für sich genommen ist „Normalität“ inhaltsleer. Sie wird jeweils individuell mit Inhalt gefüllt und kann dadurch aus Prinzip niemals normativ gedeutet werden.

Die Angst davor, ob man mit unbekannten Situationen klar kommen wird, ob man mit Herausforderungen fertig wird, entsteht nur dadurch, dass man zu dem Zeitpunkt, zu dem man sich diese Gedanken macht, eben nicht in dieser Situation ist.

Das, was ängstigt, kann niemals Normalität werden, solange man es nur von außen betrachtet. Daher ängstigt es. Erst wenn man sich hinein begibt in das, wovor man zurückschreckt, kann es seinen Schrecken verlieren und tatsächlich Normalität werden.

„Ich hätte mir nie vorstellen können, Mutter eines behinderten Kindes zu sein…“, habe ich irgendwo in einem Blog gelesen. Für diese Mutter ist es mittlerweile das Schönste und Normalste der Welt. Ich kann das vollkommen nachvollziehen und ich würde sogar ergänzen: Ich hätte mir auch lange Zeit nicht vorstellen können, überhaupt Mutter zu sein.

„Man wächst da rein“, hat uns die Genetikerin gesagt, bei der wir unser allererstes Beratungsgespräch hatten. Sie hat völlig recht. Allerdings erfasst man die Bedeutung dessen erst dann, wenn man das „Hineinwachsen“ zulässt. Erst dann kann man verstehen, welche unglaubliche Stärke des menschlichen Geistes damit gemeint ist und welch ein Vertrauen man in diese Stärke haben kann.

Wir werden in alles „hinein wachsen“, was Ronja betrifft. Genau so, wie alle Eltern in ihre Rolle hinein wachsen, das beginne ich ganz deutlich zu spüren.

Und sollten wir (wovon wir nicht ausgehen) jede Woche mit ihr beim Kardiologen sitzen, dann wird auch das für uns zur Normalität werden, die keinen Schrecken mehr besitzt.

Schlafzimmer
Das war mal unser Schlafzimmer und wid jetzt auch zu ihrem: Beistellbett, Wickeltisch, Kinderwagen ziehen ein.

Obwohl objektiv betrachtet ja auch bei unserer letzten Untersuchung im Krankenhaus nichts herausgekommmen ist, was wirklich besorgniserregend wäre, hatte ich die Atmosphäre dort nur sehr schwer verkraften können. Gestern nachmittag nun waren wir wieder bei unseren gewohnten Ärzten. Wieder heißt das Ergebnis: Nichts Besorgniserregendes zu erkennen, was wir nicht schon wüssten. Diesmal aber bin ich nach der Untersuchung voller Freude, Optimismus und Stolz auf mein Kind. „Der Ton macht die Musik“.

Die Musik, die Ronja und ich gestern gehört haben, macht uns glücklich und sie kann heilen.

Ihr Gewicht? Geschätzt 1840 Gramm mittlerweile. Ja, sie liegt am unteren Ende des Normbereichs, „…aber dafür heißt es ja schließlich Normbereich, nicht wahr?“, also erstmal kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ronja ist gut proportioniert und sie wächst stetig in ihrem eigenen Tempo. „Klein, aber fein“. Der Oberschenkelknochen vielleicht etwas kurz? „Nun ja, dass ein verkürzter Oberschenkelknochen ein Marker für Down Syndrom sein kann, dass wissen Sie so gut wie ich – das hat, wenn überhaupt nur diagnostische Bedeutung“.

VIELEN DANK! Mein Baby ist ist in Ordnung, genauso wie es ist und es entwickelt sich ganz prima!

Es geht weiter: Herzfehler: „Schön symmetrisch, wenn das so bleibt, kann man sehr gut operieren“. Herzschlag und CTG: „Sieht doch gut aus“.

Worte wirken. Es gibt keine objektive Faktenlage, sondern einen sehr weiten Spielraum, wie man Fakten einordnet und vermittelt. Wie stark die Art der Vermittlung wirken kann, erlebe ich am eigenen Leib, ohne mich von dieser Abhängigkeit lösen zu können. Dieses mal ist Einordnung und Vermittlung postitiv und die Sonne strahlt nur für Ronja und mich.

Osterglocken
…auch Ronja wächst und gedeiht.
Ich hatte außerdem das Thema „Geburt einleiten noch vor dem errechneten Entbindungstermin“ angesprochen, das mich nach unserem letzten Besuch im Krankenhaus sehr beschäftigt hat.

Antwort des Arztes: Er kann die Empfehlung beim derzeitigen Stand der Dinge „nicht ganz nachvollziehen“. Solange Ronja sich gut entwickelt, kann man den Dingen erstmal ihren Lauf lassen, wie in jeder anderen Schwangerschaft auch. Sollte ich sie übertragen, müssen wir das natürlich beobachten. Und: Ja klar, der lange Anfahrtsweg in die Klinik kann unkomfortabel für uns sein.

Das Baby wird zwar kaum aus mir herausfallen. Es kann allerdings passieren, dass wir „Fehlalarm“ haben und die Stunde zur Klinik umsonst gefahren sind, weil man uns erstmal wieder nach Hause schickt. Aber ist das ein Grund, mein Baby, das jedes Gramm Fett so dringend braucht, früher als nötig auf die Welt zu zwingen? Wohl kaum. Es ist schön, dies auch ärztlich bestätigt zu bekommen.

VIELEN DANK! Alles was ich diesmal höre, klingt sinnvoll und für mich nachvollziehbar.

Übrigens hat Ronja sich diesmal in der Praxis nicht totgestellt, wie sie es bisher immer getan hat, sondern war sehr lebendig. Es ist faszinierend beim CTG zu hören, wie sich ihr Herzschlag beschleunigt bei jeder Bewegung, die sie macht. Auch immer dann, wenn ich einen tiefen Atemzug mache, klopft ihr Herzchen etwas schneller. Ein Wunder, unsere Verbindung!

Ich werde mir bald eine andere Klinik anschauen, wo wir vielleicht zur Entbindung hin können.

Es gibt dort zwar keine Kinderkardiologie, das ist aber nach momentanem Stand der Dinge auch nicht nötig. Niemand geht derzeit davon aus, dass Ronja direkt nach der Geburt operiert werden muss. Die Überwachung auf der Kinderkardiologie ist nötig wegen möglicher allgemeiner „Anpassungsstörungen“ wie zu wenig Sauerstoff im Blut o.ä.

Ich hoffe, dass Baby und mir die Atmosphäre dort besser gefällt.

Ich werde berichten.

2 Gedanken zu “„Klein, aber fein“

  1. Hallo,

    ich weiß gar nicht mehr genau, aber ich glaub über Sonea bin ich auf Deinen Blog aufmerksam geworden.

    Ich/wir sind auch Eltern eines Herzchens mit Down Syndrom und haben zudem noch 3 weitere Kinder.
    Eliana hat uns ihr „Extra“ erst 1 Tag nach der Geburt verraten, besser gesagt, da hat man ihren Herzfehler festgestellt und den Verdacht auf Trisomie21 geäußert.

    Mit 6 Monaten wurde sie im Deutschen Herzzentrum in München operiert und leider gehört sie auch noch zu den 2% die nach dieser OP doch einen Herzschrittmacher benötigt.

    Mittlerweile ist sie 4 Jahre alt und der Wirbelwind in unserer Familie. Sie geht in den integrativen Kindergarten und wird von allen voll akzeptiert.

    Nach der Diagnose hat es uns auch ganz schön den Boden unter den Füßen weggezogen, aber nach 3 Jungs waren wir in dieses kleine Mädchen total verliebt. und da sie doch recht pflegeleicht ist, fällt es gar nicht auf, das wir ein paar Termine mehr mit ihr haben …

    Ich werde Deinen Blog gerne weiter verfolgen…

    Lg Ivonne+ Eliana und die restliche Rasselbande

    1. Liebe Ivonne,

      vielen Dank, dass du deine Erfahrungen hier mit uns teilst. Je mehr Berichte ich von anderen Eltern höre, desto mehr verlieren all die Diagnosen für mich ihren Schrecken. Denn es zeigt sich: Familienglück und Liebe hängt von anderen Dingen – von der inneren Einstellung?- ab, als von perfekter Gesundheit. Ich könte mir vorstellen, dass es auch anderen Müttern so geht und dass du und all die anderen, die hier oder woanders kommentieren oder bloggen anderen Eltern viel Kraft geben. War es bei Eliana auch ein AVSD? Für uns kommt für die Herz-Op momentan entweder Nürnberg oder Erlangen in Frage. Falls du mal Zeit hast, kannst du mir ja vielleicht mal über eure Erfahrungen in München berichten? Gern auch direkt an meine private Mailadresse (siehe „Kontakt“).

      Ich wünsche dir, Eliana und dem Rest der Familie alles Gute! Ein sehr schöner Name übrigens: Eliana.

      Alles Liebe

      Gundula

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