In der Diskussion um den Praena Test (meine Gefühle dazu hatte ich hier notiert) und auch, wenn es um Pränataldiagnostik allgemein geht, hat es oft den Anschein, als ginge es dabei einzig und allein um das Down Syndrom. Tatsächlich wird aber wesentlich mehr verhandelt, als „nur“ die Lebenswürdigkeit oder Lebensunwürdigkeit von Menschen mit Down Syndrom. Wir verhandeln die Frage, wie wir uns als Gesellschaft gegenüber Krankheit oder Schwäche positionieren möchten. Wieviel Vielfalt und Solidarität wir uns weiterhin leisten möchten.

Das Down Syndrom eignet sich sehr gut als Projektionsfläche, Symbolbehinderung oder Vorzeigebehinderung, denn es lässt sich, anders als viele andere Krankheiten und Behinderungen, vorgeburtlich ziemlich gut diagnostizieren.

Zum Beispiel durch den Praena Test. Außerdem sieht man Menschen mit Down Syndrom ihre „Behinderung“ meist auch sehr deutlich an. Das macht die öffentliche Diskussion besser greifbar. Es ist nie verkehrt, die entsprechende Berichterstattung, sei sie positiv oder negativ, mit ein paar scheinbar „sprechenden“ Fotos zu hinterlegen.

Indem man sich aber so auf das Down Syndom fokussiert, wiegt man sich in der Illusion, man habe, indem man das Risiko für Trisomie 21 eliminiert, durch diese „gewissenhafte Vorsorge“ nun die Gewissheit und das Recht erworben, ein „makelloses“ Kind zu bekommen. Dem ist nicht so. Weder hat irgendjemand, wenn es ums Kinder kriegen geht, einen Anpruch auf irgendetwas, noch gibt es irgendeine Gewissheit oder Absicherung, mit der man sich vor Krankheit oder Behinderung schützen könnte.

Ich möchte euch hierzu ein paar Zahlen und Fakten zitieren:

„3% aller Kinder kommen mit einer Behinderung zur Welt. In 2% der Fälle entsteht die Behinderung während der Schwangerschaft oder im Verlauf der Geburt, 1% ist genetisch bedingt.  

95% aller Behinderungen entstehen im Verlauf des späteren Lebens, z.B. durch Erkrankungen oder Unfälle. 

Auf 40 Babys kommt eines, dass eine angeborene Krankheit oder Behinderung hat. Statistisch gesehen wird alle 5 Minuten ein Kind mit einer sichtbaren Körperbehinderung geboren. 

Zur Zeit (2004) sind mehr als 900 genetische bedingte Erkrankungen und Behinderungen mit einhergehender geistiger Retardierung bekannt, von denen das Down-Syndrom (Trisomie 21) die häufigste ist. Statistisch gesehen entwickeln 3 von 500 Kindern eine tiefgreifende Entwicklungsstörung im Verlauf der ersten Lebensjahre. 

Das aktuelle „Lexikon der Syndrome und Fehlbildungen“ hat 1347 Seiten. Nur ein Bruchteil aller angeborenen Erkrankungen und Behinderungen ist pränatal feststellbar.“ 

(Ich habe leider keinen wissenschaftlich tragfähigen Quellennachweis gefunden. Die genannten Zahlen habe ich daher selbst stichprobenartig auf Korrektheit überprüft.)

Fakt ist: Schwäche, Krankheit und Behinderung gehören zum Leben dazu.

Bei jedem von uns. Wenn wir der Meinung sind, dass Menschen mit Down Syndrom eigentlich nicht in diese Gesellschaft gehören (und dieser Meinung sind wir, wenn wir unsere Kinder künftig standardmäßig durch Praena Test per Kassenleistung selektieren), dann sagen wir damit eigentlich, dass alle, die in irgendeiner Form krank oder schwach sind, nicht in diese Gesellschaft gehören. Wer auf keinen Fall ein Kind mit Triomie 21 haben möchte, der möchte bitte besser gar kein Kind haben. Denn krank werden kann jeder. Jederzeit. Immer.

Man muss das, was mit dem Down Syndrom einhergehen kann, natürlich nicht toll finden.

Es gibt viel Wunderbares an Ronja, vielleicht durchaus auch wegen ihrer Trisomie. Aber es gibt auch Schlimmes, das mit der Trisomie einhergeht. Zum Beispiel ihren Herzfehler. Darüber darf man jammern und traurig sein. Und natürlich wünschen wir uns, dass sie den nicht hätte. Aber wir haben es uns leider nicht aussuchen können. Fakt ist: Die Möglichkeiten der Pränatalmedizin erwecken in manchen Menschen den falschen Eindruck, dass man gegen das Down Syndrom etwas „tun könne“, es sich also gewissermaßen selbst zuzuschreiben habe, wenn man ein krankes Kind bekommt und sich dementsprechend auch nicht beklagen dürfe. Das ist aber falsch. Man kann nichts tun. Außer das eigene Kind töten. Das ist keine Option. Erstens, weil jedes Leben wertvoll ist. Zweitens, weil es dabei eben um viel mehr geht, als nur um das Down Syndrom.

Es geht darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Und es geht um Vielfalt und Solidarität, auf die jeder einzelne irgendwann einmal in seinem Leben angewiesen sein wird.

 

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