Als ich schwanger war mit Ronja, habe ich oft versucht mir vorzustellen, wie es wohl sein wird, diesen Satz zu sagen. Wie es sich wohl für mich anfühlen wird, wie und bei welchen Gelegenheiten ich ihn wohl sagen werde, wie andere wohl reagieren und was dies für uns wohl bedeuten wird. Da war Zuversicht und Neugier, aber da war auch viel Angst und Ungewissheit darüber, was dieser eine Satz mit unserem Leben machen wird.

Nun, da Ronja schon über 5 Monate bei uns ist, habe ich „es“ schon oft gesagt. Jedes einzelne mal war es so ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Nie war es so, dass es sich gelohnt hätte, davor Angst zu haben.

„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“, das sage ich manchmal voller Stolz.

Vor 2 Wochen waren wir mit Ronja im Schwimmbad. Sie lag in Bauchlage auf dem Handtuch, hat sich aufgestützt und rumgeguckt, wie sie das halt so macht. Man kommt ja immer schnell ins Gespräch mit anderen Eltern, wenn man ein Baby dabei hat. Wie außergewöhnlich weit entwickelt sie schon sei, so ein guter Armstütz mit nur 4 Monaten sei ja durchaus nicht selbtverständlich, hat ein Vater sie gelobt. „Ja, das macht sie prima“, war meine Erwiderung. Und dann der Nachsatz, den ich in solchen Momenten sehr gerne und voller Stolz sage: „Übrigens hat meine Tochter das Down Syndrom“.

Wie sich das auswirke, hat ein älterer Mann dann noch gefragt. „Naja, neben einer Disposition für bestimmte Krankheiten zeigt sich das vor allem in einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung…“. Auf die Paradoxie der Situation muss ich nicht extra hinweisen, oder?

lachende Ronja
Schnappschuss mit laut lachender Ronja: Das schönste, was es gibt auf der Welt
„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“, das sage ich in vielen Situationen gar nicht extra dazu, weil es mir ganz irrelevant erscheint.

So schaue ich mich derzeit nach einer Betreuungsmöglichkeit für Ronja um. Ich suche nicht nach einem Kindergarten oder einer Krippe, die bereit ist, Ronja „zu nehmen“, sondern nach einem Ort, an den ich bereit bin, sie hin zu schicken und wo sie sich wohl fühlt. Bei Kindergärten oder Krippen setze ich einfach voraus, dass ein Zusatzchromosom keine große Rolle spielt. Schule ist ein anderes Thema, aber damit müssen wir und jetzt noch nicht auseinander setzen. Dementsprechend habe ich die Trisomie beim Erstkontakt auch gar nicht erwähnt. „Ich suche einen Kindergarten/Krippe für meine kleine Tochter. Darf ich mich bei Ihnen mal umsehen?“ Das war der Erstkontakt. „Übrigens hat sie das Down Syndrom. Vermutlich wird sie etwas später laufen. Vielleicht auch länger Windeln tragen“, habe ich dann vor Ort hinzugefügt. Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass das vom Prinzip her ein Problem war. Teilweise schien es mir sogar ein Vorteil zu sein.

„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“ ist also keine Satz, den ich voraus schicke, wenn ich Ronja irgend jemandem vorstelle.

Weil es wenig bis gar nichts aussagt. „Das ist Ronja“. Fertig. Wenn nötig füge ich später in ihrem Leben dann noch etwas hinzu, falls es wichtig ist. „Nein, sie kann noch nicht laufen“, vielleicht, oder „sie spricht gerne auch mit den Händen“. Das genügt doch, um sie zu beschreiben, oder?

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„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“. Das zu sagen ist manchmal natürlich trotzdem wichtig.

Bei einigen Behörden und Ämtern habe ich es gesagt. Zum Beispiel bekommen wir Steuererleichterungen aufgrund dessen. Bei Ärzten ist es wichtig zu erwähnen, klar. Auch da klingt es für mich mittlerweile überhaupt nicht mehr wie ein Stigma, sondern eben einfach wie eine Zusatzinformation, die es bei der Behandlung eben zu beachten gibt. Andere Kinder haben Allergien, Ronja hat eben ein zusätzliches Chromosom. Fertig.

„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“. Das zu sagen genieße ich manchmal sogar.

Mit einem einzigen Satz kann ich Ronja von sehr viel Druck befreien, der sonst so auf „normalen“ Kindern lastet. Wie viele Elterngespräche ich schon mitgehört habe, in denen es zum Beispiel um das gute Abschneiden ihrer Kinder bei den Vorsorgeuntersuchungen ging. Wie man sein Kind dafür „trainieren“ kann. Wie man damit umgeht, wenn das Kind „schlecht abschneidet“. Ronja ist da außer Konkurrenz. Gott sei Dank. Schließlich ist sie „behindert“. Und kann bisher trotzdem fast alles, was andere auch können. Nur eben ohne Druck, ohne übersteigerte Erwartungen. Ist das nicht auch ein großes Glück für sie, dass sie sich dem Leistungswettkampf in Kindergarten, Schule, Beruf nur dann wird stellen müssen, wenn sie selbst es wirklich will?

Ronja auf dem Arm
Was wissen wir schon über Ronjas Zukunft?
„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“, das zu denken macht mich in manchen Momenten ganz unerwartet dann doch ein bisschen traurig.

Zum Beispiel wenn andere Eltern darüber reden, dass die Kinder Führerschein machen, selbst Kinder kriegen, studieren, Karriere machen werden. „Ronja wird das alles nicht können“, denke ich dann manchmal und fühle mich ausgeschlossen. Zum Glück fällt mir dann ein, dass das Quatsch ist. Weder können andere je sicher sein, was der Nachwuchs in seinem Leben so treibt (vielleicht wollen die Kinder auch gar keine Kinder haben?), noch kann ich wissen, was Ronja alles lernen und aus ihrem Leben machen wird.

„Unsere Tochter hat das Down Syndrom“ und sie ist perfekt, genau so, wie sie ist. Über Ronjas Zukunft sagt das erstmal gar nichts aus. Und Angst haben muss man davor sowieso nicht.

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