Mein Blog wächst stetig und ich bin zunehmend mit anderen Eltern im Austausch, weil es mir einfach gut tut. Durch jeden persönlichen Kontakt, jeden Kommentar, jede E-Mail die ich erhalte, festigt sich in mir der Eindruck, dass

  1. das, was Eltern von Kindern mit Down Syndrom  zu berichten haben, sehr wenig mit dem recht düsteren Bild zu tun hat, das in den Arztpraxen vermittelt wird und dass
  2. alle diese Eltern speziell in Zusammenhang mit der Diagnosevermittlung eher negative, teilweise richtig schlimme Erfahrungen mit Ärzten oder sonstigem „Fachpersonal“ gemacht haben.

Es kommt mir vor, als gäbe es zwei Welten, die kaum etwas miteinander zu tun haben: Die der medizinischen Aufklärung und die der „betroffenen“ Familien.

Wenn das eigene Kind mit DS es erst einmal geschafft hat, sich durch die vorgeburtliche Diagnostik durchzumogeln oder wenn die Eltern es erst einmal geschafft haben, die Schwangerschaft hindurch auf dem Lebensrecht ihres Kindes zu beharren, dann höre ich bisher überall das gleiche Fazit: „Hätten wir uns vorher vorstellen können, wie schön/normal/wunderbar es tatächlich ist mit unserem Kind, dann hätten wir uns all die Tränen sparen können. Wovor nur haben wir solche Angst gehabt?“

Naja, könnte man sagen, ist doch schön, wenn sich am Ende alles so positiv entwickelt. Das Problem mit diesen zwei Welten ist allerdings, dass die Frauen und Männer genau dann, wenn sie in einer Entscheidungssituation sind (Ersttrimesterscreening oder nicht? Fruchtwasserpunktion oder nicht? Abtreibung oder nicht?) eben meist nur die eine Welt kennen lernen: Die düstere, risikoreiche Welt der medizinischen Aufklärung. Diese Tatsache beeinflusst die Entscheidungsfindung ganz massiv. Anders ist eine Abtreibungsrate von 90-95% bei Babys mit Down Syndrom nicht zu erklären.

Ich frage mich, wie man diese zwei Welten zueinander bringen kann.

Ich meine nicht, dass die medizinische Seite der Aufklärung nicht auch ihren Stellenwert haben sollte. Klar, es gibt bestimmte Einschränkungen und bestimmte typische Krankheiten, die mit dem DS einhergehen können (aber nicht müssen). Es ist ja grundsätzlich nicht verkehrt, auch darüber zu sprechen. Es zeichnet allerdings ein völlig falsches Bild, wenn man nur darüber spricht. Auch die Anmerkung, dass diese Kinder ja eine „subjektiv gute Lebensqualität“ haben, wird die so erzeugte Angst nicht abschwächen.

Wann immer mir Eltern von ihrem Glück mit ihren Kindern erzählen, denke ich mir: Genau diese Geschichten sollte eine Mutter hören, bevor sie sich der Pränataldiagnostik unterwirft und bevor sie ihr Kind abtreiben lässt.

Wie kann es gelingen, dies zu erreichen? Wie kann dies gelingen, ohne in Verdacht zu geraten, ein militanter Abtreibungsgegner zu sein und Frauen ihr legitimes Recht auf Autonomie in Bezug auf ihren eigenen Körper nehmen zu wollen? Würde es gelingen, beide Welten darzustellen, könnte man allein damit sehr, sehr vielen kleinen Wesen das Leben retten, davon bin ich überzeugt. Bei gleichbleibend völliger Wahlfreiheit der Frauen, welche ich nicht beschränken möchte.

Woran liegt es, dass dies nicht geschieht?
Ich dachte, ich könnte auch durch das Öffentlich-Machen unserer Geschichte etwas bewirken. Eine gewisse Wirkung hat dies sicherlich auch, wie auch all die anderen Blogs zum DS viel zur Aufklärung beitragen. Allerdings frage ich mich, ob ich mit meinen Berichten nicht doch hauptsächlich nur die erreiche, die ich sowieso nicht mehr überzeugen muss. Diejenigen, die ohnehin im Wesentlichen meiner Meinung sind oder eben die, die sich bereits für ein Kind mit DS entschieden haben. Versteht das bitte nicht falsch, mir sind diese Kontakte unheimlich wichtig; aber genügt es, unter „Gleichgesinnten“ zu bleiben?

Wie kann man Menschen für ein Thema interessieren, mit dem sich eigentlich keiner gern auseinander setzt?

Auch uns schien das Thema „Behinderung“ immer sehr fern. Klar, man ist irgendwie für Toleranz und Inklusion, aber die meisten Berührungspunkte hatte bisher Matthias durch den Zivildienst. Für  mich gab es einfach keinen Anlass und ich hatte auch kein Bedürfnis, mich damit näher auseinander zu setzen. Menschen gucken nunmal lieber putzige Katzenvideos und lustige Fotos, als sich durch Blogs zum Down Syndrom zu wühlen. Solange man nicht selbst (oder im nächsten Umfeld) davon betroffen ist, scheint das Thema nichts mit dem eigenen Leben zu tun zu haben und, ganz ehrlich: Die meisten sind froh, wenn das so bleibt.

Gibt es also eine Möglichkeit, dies zu ändern? Einen Weg, mehr Menschen zu erreichen und die zwei Welten der Aufklärung zu vereinen? Ich weiß es nicht, aber ich wünsche es mir.

 

2 Gedanken zu “Zwei Welten

  1. Liebe Guga,

    gaanz lieben Dank für Deinen Blog. Ich gehöre sicher zu den Menschen, die sich erst für dieses Thema interessieren, seit ich „betroffen“ bin durch das Thema in meinem engsten Umkreis. Deine Hauptfrage in dem letzten Blog bezieht sich auf die Frage, wie Du viel mehr Menschen erreichen kannst, bzw. wieso das nicht von alleine passiert. Diese Frage treibt mich immer wieder um, nicht nur durch Euer Thema Down-Syndrom, sondern es taucht ja ständig im täglichen Leben auf. Dabei fällt auf, dass es immer dort Thema ist, wo Menschen sich engagieren, sich tief in die jeweilige Materie einarbeiten und wo sie erkennen, dass die bestehende Meinung oder Darstellung nicht auf fundierten Beobachtungen, Vernunft oder tiefen Erkenntnissen basiert, sondern dem mainstream entspricht, der durch Interessen, Macht und Bequemlichkeit geformt wird. Da kannst Du Dir die Politik anschauen, die Umweltthematiken, das Konsumverhalten, technische Entwicklungen, Landwirtschaft, Hunger, Katastrophen und natürlich die Medizin, usw.

    Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren in dem veterinär- und humanmedizinischen Bereich und führe täglich viele Aussagen, Prognosen und oft auch Diagnosen der sog. Schulmedizin ad absurdum. Ich behaupte mal, dass mich zumindest in Schleswig-Holstein mehr als 90 % der Kollegen kennen und meinen Namen zuordnen können. Ich sehe es mittlerweile als Erfolg an, dass ich nicht mehr bekämpft werde, sondern stillschweigend akzeptiert. Ich habe aber immer noch den Eindruck, dass es den meisten Kollegen lieber wäre, wenn es mich nicht gäbe. Geändert hat sich in den Therapieverfahren, Diagnosen und Prognosestellungen der Kollegen aber bisher nichts spürbares. Auch bei den Tierbesitzern und Patienten im Allgemeinen geschieht, gemessen an den Erfolgen der Behandlung, herzlich wenig. Ich erreiche eben nur diejenigen, die sich eh schon für diese Art der Therapie interessieren oder die sich, wodurch auch immer (Leidensdruck, Interesse, Neugierde, gesunde Skepsis), in gewisser Hinsicht öffnen können. Die große Mehrheit aber erreiche ich nicht, die meisten schauen sogar aktiv weg. Dennoch habe ich das Gefühl, dass ich heute mehr verändere, als vor 20 Jahren, wo ich noch mehr versuchte die Menschen verbal und argumentatorisch zu überzeugen. Dadurch schaffte ich Fronten und die Menschen fühlten sich bedroht oder gar verurteilt und machten noch früher zu.

    Ich habe ja glücklicherweise gut zu tun und es werden auch immer mehr Menschen, die sich den Erfahrungen öffnen, sie nutzen und davon erzählen. Und dafür lohnt es sich auch oft mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Ich fühle mich glücklicher, weil ich mich nicht verbiege und strahle dieses positive Gefühl, wie ich denke, auch mehr und mehr aus. Ich denke, es ist nicht vermessen, von Liebe zu sprechen. Liebe hat die Kraft die Welt zu verändern, denn sie braucht keine Argumente, sie verändert, in dem sie die Herzen öffnet. Und darum ist es wichtig dieses Strahlen in die Welt zu bringen, und jeder, der das tut, hilft die Welt zu verändern. Und Du machst auch genau das in sehr großem Maße. Zu den Erkenntnissen, die Du in kurzer Zeit erlangst, brauchte ich mein ganzes Leben, wenn ich denn überhaupt soweit bin, wie Du jetzt schon.

    Und wir dürfen, wie Du es auch schreibst, nicht verurteilen. Wir sollen tolerant sein, die Menschen dort abholen, wo sie gerade stehen. Und zweifellos können wir nicht alle erreichen, sondern immer nur diejenigen, die an der Schwelle stehen. Mir hat ein Beitrag von Ronald Hamm, der 2014 einen Kurs bei uns machte, sehr geholfen. Er erklärte, dass es bei uns Menschen 13 verschiedene Gehirntypen gibt. Ich suche den Test und die Erklärung mal heraus und schicke ihn Dir, wenn Du möchtest und ich ihn finde. In unserem Kurs machten wir den Test und konnten feststellen, dass wir alle ganz ähnliche Gehirntypen hatten. Es geht auch gar nicht anders, weil extrem andere Typen sich gar nicht für einen solchen Kurs interessieren. Und mit diesen Menschen kann man auch gar nicht diskutieren. Sie reden wie in einer anderen Sprache und können uns nicht verstehen. Das ist nicht bös gemeint und sie sind schon gar nicht dumm oder total verschlossen. Sondern es geht einfach nicht. Es ist wie eine andere Sprache. Wie ich das verstanden habe schließt sich der Kreis zu den alten chinesischen Philosophien, die kein Problem damit haben, völlig gegensätzliche Anschauungen bestehen zu lassen, das berühmte sowohl als auch. Wir brauchen also nicht zu kämpfen, das verbraucht unnötig Energien. Wir müssen tun, strahlen, von dem Guten reden und es fördern, mehr können wir auf dieser Welt nicht tun.

    Dein Beitrag auf dieser Welt ist so unendlich viel Wert und Du erreichst mehr Menschen, als Du im Moment vielleicht wahr nimmst. Lass uns mal die Abtreibungsstatistiken in 10 Jahren anschauen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich dann einiges geändert haben wird.

    Lieben Dank Guga. Ich freue mich auf meinen Besuch am 8.4. bei Euch.

    Liebe Grüße

    Christian

    1. Lieber Christian,

      lieben Dank für den ausführlichen Kommentar.
      Wahrscheinlich hast du recht: es wäre ein Kampf gegen Windmühlen, die Welt dort verädern zu wollen, wo sie sich nicht verändern lassen will. Zusätzlich würde es, wie du es erlebt hast, Energie von dem (oder in unserem Fall derjenigen :-)) abziehen, wo sie eigentlich gebraucht wird und es würde uns verhärmen und frustrieren. Vielleicht genügt es, wenn wir uns mit unserer Botschaft „offen halten“ diejenigen zu erreichen, die erreicht werden möchten. Uns anbieten, aber nicht aufdrängen. Und wahrscheinlich ist es so, dass es viel mehr wert ist, einige Wenige tief zu berühren, als sehr viele an der Oberfläche. Ersteres gelingt uns, bzw. Ronja in einem Maße, das mich selber immer wieder sehr berührt.
      Ich bin auch überzeugt, dass Ronja selbst dafür sorgen wird, zumindest in ihrem Umfeld ganz viele Menschen zu erreichen, zu bewegen und Haltungen zu verändern, denn sie wird ein ganz zauberhaftes kleines Mädchen sein.

      Den Test zu den Gehintypen hätte ich gern, das klingt interessant, danke.
      Übrigens lese ich gerade das Buch eines der wenigen Forscher, die aktuell zu den neurologischen Besonderheiten von Menschen mit Down Syndrom forschen, Frank Zimbel. Die Studie ist recht sperrig zu lesen, weil sehr fachlich neurowissenschaftlich, hat aber einen sehr interessanten Ansatzpunkt. Und zwar eröffnet Zimpel die Perspektive, auch bei Menschen mit Down Syndrom statt von „Behinderung“ von „Neurodiversität“ (im Gegensatz zu uns „neurotypischen“ Gehirnen) zu sprechen. Z.B. in Bezug auf Menschen mit Autismus hat sich diese Sichtweise anscheinend schon recht weitgehend durchgesetzt. Die Konsequenz daraus ist vor allem, dass man bei jeder Herausforderung eben erstmal nicht davon ausgeht, dass der Betroffene es aufgrund seiner Behinderung nicht so gut kann oder per se langsamer lernt, sondern dass man statt dessen zuallererst fragt, ob dieser Mensch vielleicht einfach einen anderen Zugang zum Verstehen und Lernen braucht, weil sein Gehirn eben anders funktioniert, als wir es gewohnt sind…

      Ich bin momentant noch mit Lesen und Verstehen des Buches beschäftigt, möchte dann aber darüber berichten, weil ich das einen hochinteressanten Ansatz finde.

      Liebe Grüße und frohe Ostern!

      Gundula

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