Ich schreibe wenig momentan wenig auf diesem Blog, weil es so wenig gibt, das mir berichtenswert erscheint. Weil unser Alltag so gefüllt ist und mir so wenig Pausen lässt und sich gleichzeitig so banal anfühlt, dass ich nicht weiß, worüber ich schreiben soll. Wenn es etwas Erwähnenswertes gibt, dann landet dies in meinem Buch, das ja nebenher auch entstehen muss.
Vergangene Woche aber hat mich sehr bewegt. Es gab Extreme, die mich sehr zum Nachdenken bringen.
Und wie so oft handelt dieses Nachdenkem vom Eltern-Sein und von Entwicklung. Das letzte Wochenende haben wir Freunde getroffen, die haben einen kleinen Sohn. Zwei Monate älter als Ronja. Sehr niedlich. Schienen die beiden als Babys in ihrer Entwicklung immer noch sehr nah beieienander, so waren sie nun plötzlich Welten voneinander entfernt. Hier unsere Tochter, die sich zwar mittlerweile überall hochzieht und an den Händen gerne „gegangen“ wird, ansonsten aber weiterhin ein Bodenbewohner ist, dort ein Kleinkind, das die ersten Wörter spricht und sicher auf den eigenen zwei Beinen die Welt erkundet.
In 99 Fällen macht es mir gar nichts, den Unterschied zu anderen Kindern zu registrieren. Ronja geht seit September sehr erfolgreich als Inklusionskind in eine Krippe. Ich liebe es, sie unter den anderen Kindern zu beobachten. Aber plötzlich und unvermutet trifft es mich. Ich weiß nicht wann. Und warum kann ich auch nicht sagen.
Dieses Wochende nun waren wir zu einem Seminar zur Gebärden unterstützen Kommunikation (GuK).
GuK ist eine Methode, die Kindern mit Down Syndrom helfen soll, sich über Gebärden auszudrücken, solange ihnen die Worte noch nicht richtig aus dem Munde wollen. Indem Frustration durch dieses frühe Sich-verständlich-machen-können vorgebeugt wird und indem positive Erfahrungen mit gelungener Kommunikation gemacht werden, unterstüzt diese Methode den Erwerb der Lautsprache, anstatt ihn, wie oft befürchtet, zu verhindern. Ronja war dabei, da wir keinen Babysitter hatten. Die anderen Teilnehmer des Seminares waren bis auf eine Ausnahme ohne Kinder da.
In dieser Runde nun haben wir – konträr zu dem Erlebnis eine Woche zuvor – gespiegelt bekommen, wie gut entwickelt Ronja sei. Wie viele Fähigkeiten sie schon habe. Nicht nur im motorischen Bereich, sondern auch im sozialen und kognitiven. Ich weiß immer nicht, was ich dazu sagen soll. Erstens überrascht es mich. Einfach deswegen, weil ich im Alltag den allzu klinisch beurteilenden Blick auf Ronjas Entwicklung wenn möglich meide. Natürlich sehen wir sie ständig in Interaktion mit anderen Kindern – meist ohne, manchmal aber auch mit Down Syndrom. Es ist aber etwas anderes, ob man die offensichtlichen Unterschiede in der Entwicklung einfach nur registriert, oder ob man ihnen Namen gibt, sie kognitiven Zuständen und Meilensteine zuordnet und daraus ein vom Lebensalter verschiedenes Entwicklungsalter des Kindes ableitet. Letzteres mag ich nicht, denn es bringt mich weg vom Mutter-sein und macht aus mir eine Therapeutin; ständig auf der Suche nach der nächsten passgenauen Fördermöglichkeit für mein Kind.
Der zweite Grund, warum ich mit dem Lob für Ronjas gute Entwicklung nicht gut umgehen kann ist der, dass ich das eigentlich nicht hauptsächlich für unseren Verdienst als Eltern halte.
Das Kind bringt auch einfach viel mit, denke ich. Jedes Kind bringt viel mit. Jedes etwas anderes. Indem ich einfach „Danke“ zu dem Lob sage und beginne aufzuzählen, was wir mit Ronja wie gehandhabt haben und welche Art von Förderung und Therapie bekommt, suggeriere ich dadurch nicht, dass auch ich es für meine Leistung halte, dass sie so ist, wie sie ist? Treffe ich dadurch implizit nicht auch die Aussage, dass andere Eltern, deren Kinder sich langsamer entwickeln, letztlich sebst schuld sind daran – sie hätten eben mehr und besser fördern müssen?
Vor einem Jahr noch habe ich gedacht, dass Kinder und Eltern mit Down Syndrom vielleicht unbeschwerter aufwachsen können. Ohne Leistungsdruck, den andere empfinden. Da sie ja ohnehin durch das Raster fallen. Mittlerweile halte ich auch das genaue Gegenteil für möglich.
Ist es nicht so, dass gerade die Eltern, deren Kinder deutliche Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen, umso mehr unter Beobachtung stehen?
Eltern, und ganz speziell Mütter, stehen ja ohnehin sehr unter Beobachtung. Das ist ja oft auch gut so (Kindesmisshandlung). Solange das Kind ein „nomales“ Verhalten zeigt, ist dies den Eltern und auch dem gesamten Umfeld der Garant dafür, dass im Großen und Ganzen alles in Ordnung sein müsse. Fällt dieser Garant nun aber weg, weil das Kind von sich aus eben nicht „nomal“ ist, dann gibt es keinen einfachen Anhaltspunkt mehr dafür, ob man es richtig macht, oder nicht. Ob man genug fördert, zuwenig oder zuviel. Rückschluss darauf, wie gut es dem Kind geht, gibt nun lediglich noch der Input der Eltern.
Ist das der Grund dafür, dass ich manchmal das Gefühl habe, einige Eltern kennen sich zu gut aus, leben zu sehr in der Förderung ihrer Kinder? Wird hier überkompensiert in vorauseilendem Gehorsam aus eben der Angst davor, abgeurteilt zu werden dafür, dass das eigene Kind langsamer ist als andere, die ja ebenfalls ein Zusatzchromosom besitzen? Oder ist es einfach der Wunsch, etwas beschleunigen zu wollen, der zu einer gewissen Form des Overcommitment führt?
Andererseits: Urteile ich hier nicht aus einer Luxussituation heraus, in der mein Kind sich zwar langsamer als andere, aber denoch sehr stark aus sich selbst heraus und ohne große Probleme entwickelt?
Ist es in so einer Position nicht allzu einfach, anderen zu empfehlen, sie sollten „einfach mal locker lassen“?
Übrigens klingt es theoretisch natürlich sehr sinnig, wenn man sagt, man solle das eigene Kind einfach da abzuholen, wo es gerade ist. Für ein Kind, das zumindest im groben irgendwie der Norm entspricht, funktioniert das möglicherweise auch sehr gut. Man bekommt durch Krippe, Kindergarten, Umfeld und Freunde eben irgendwie mit, was an Fähigkeiten gerade an der Zeit ist, zu lernen, und das differenziert man individuell dann eben ein bisschen aus. Wie aber soll es gelingen den richtigen Mix aus Entspanung und entwicklunsgmäßig passender Anregung zu finden für ein Kind wie Ronja, das Gleichaltrigen ohne Trisomie zwar weit hinterher ist, sich im Vergleich zu anderen Kindern mit Down Syndrom aber sehr selbständig entwickelt? Ich möchte Ronja nicht triezen mit unrealistischen Erwartungen, möchte ihr aber auch keine Chancen verbauen, indem ich ihr bestimmte Erfahrungen vorenthalte aufgrund des Trugschlusses, das könne sie wahrscheinlich sowieso noch nicht. Als wir Ronja vor Monaten das erste mal eine Gabel in die Hand drückten, da waren wir beide überrascht, wie selbstverständlich diese samt Essen genau in den Mund traf. Wie lange hatte unser Kind bereits das Potential dazu, nur keine Gelegenheit, es zu versuchen?
In gewisser Weise bin ich eben doch auch auf Therapeuten angewiesen und auf ihre Einschätzungen des Entwicklungsalters.
Um wertvolle Tipps und Anregungen zu bekommen, wann man was beim Kind mal anregen könnte. Hier die Balance zu finden ist ein dauernder Drahtseilakt. Der Grund, warum mir das Konzept der GuK so sympathisch ist, ist der, dass sie unabhängig von Entwicklungsständen funktioniert. Gebärden machen einfach Spaß. Für alle Kinder. Und wir können sie nebenher einfließen lassen, ohne unser Kind vorab beurteilen zu müssen. Ich hoffe, ich komme dazu zu berichten, wie es funktioniert.